Antisemitismus

Dort, wo man von den tatsächlichen Ursachen entstandener Probleme ablenken will, dort, wo „Schuldige“ gesucht werden müssen, weil die Verursacher der Probleme aus machttaktischen Gründen geschützt bleiben müssen, dort also wo alles andere als Vernunft und Toleranz herrschen, blüht Fremdenhass und Antisemitismus.
Wir hören selten von den großen Antisemiten wie Martin Luther oder Richard Wagner. Aber genau diese Brunnenvergifter, die im Gewande von Christentum, Kultur und Aufklärung daherkommen, machen es den labilen Kleingeistern, die sich um ihre Stammtische des „Totschlagens“ versammeln, sehr leicht, auch deren Unbeherrschtheiten kritiklos zu übernehmen.
Natürlich, Luther war zum Ausgang des Mittelalters eine andere Sprache gewohnt, als wir in heutiger Zeit, aber auf eine Aufarbeitung seiner sprachlichen Entgleisungen wartet man in den Evangelischen Kirchen vergebens. Der Finder der deutschen Sprache war in Sachen Toleranz ein grober Bauerntölpel, das auf einen Nenner zu bringen fällt uns halt heute recht schwer.
Hat man je ein Wort von der „Wagnerianerin“ Angela Merkel zur Deutung (Entschuldigung!) der aggressiven Hasstiraden gegen die damals reichhaltige Judenintelligenzia des 19JH. ihres deutschen „Meistersingers“ gehört? Ich nicht.
Worauf ich hinaus will, es ist recht einfach: Der Antisemitismus, in seinen Abarten eben Ausländerhass, ist ein psychologisches Problem einzelner Menschen, das psychotherapeutisch, wenn es sein muss „irrenanstaltsmässig“ behandelt werden muss und niemals politisch.
Wir würden im letzteren Fall einer Hybris zum Opfer fallen, zu glauben, über Diskussionen schafft man solche Problemstellungen ab.
Eine Groteske besonderer Art war die Einverleibung Friedrich Nietzsches durch die Nazis, besonders durch Hitler, der von ein paar Schlagworten des Philosophen nicht viel mitbekommen hat. Denn Nietzsche war genau das Gegenteil eines Antisemiten.
Den Antisemitismus hatte Nietzsche bereits im Wagner-Kreis abstoßend gefunden. In „Jenseits von Gut und Böse“ warnt der Philosoph vor den Ressentiments gegenüber Juden. Ihnen verdanke die deutsche Kultur außerordentlich viel, nichts Geringeres nämlich als die Fähigkeit, klar und konsequent zu denken. Dabei erkennt Nietzsche nicht nur ihre Leistungen, sondern auch Ihre Leiden an.
Volker Gerhardt schreibt in seinem Nietzschebuch, „Es ist eindrucksvoll, wie Nietzsche den Wunsch der Juden, endlich irgendwo fest, erlaubt, geachtet zu sein und dem Nomadenleben, dem ewigen Juden ein Ziel zu setzen, und dringend empfiehlt, diesem Zug und Drang endlich auch praktisch entgegen zukommen; dazu wäre es nützlich und billig (..) die antisemitischen Schreihälse des Landes zu verweisen.
Nietzsche äußert sich oft über die Juden und ihre Geschichte. Er zeigt dabei nicht nur die Unbefangenheit, die das 19.Jahrhundert in dieser Frage noch haben konnte, sondern urteilt auch hier in der für ihn typischen extremen Überzeichnung. In seiner Kritik der Moral legt er den Juden den «Sklavenaufstand in der Moral» zur Last; er nennt sie die «Genies» des Ressentiments, die «Erfinder des Christenthums» (was in seinen Augen das Schlimmste ist), die «besten Hasser», die Meister der Anpassungskunst und versteigt sich in einem degoutanten Vergleich zu der Behauptung, «dass Deutschland reichlich genug Juden hat» .
Im ganzen aber überwiegen die anerkennenden, um Gerechtigkeit bemühten Urteile und damit der Respekt vor einem schweren Schicksal, das mit Tapferkeit («Teufels-Mut») und Intelligenz gemeistert werde. Erst die Juden, so meint er, haben den Europäern die Strenge und unterschiedslose Geltung der Logik beigebracht (FW 348; 3, 585).
Von alledem wissen und spüren die Antisemiten nichts. Ihre Geistlosigkeit und Undankbarkeit machen sie daher in Nietzsches Augen verächtlich. Er sieht, dass sie auf infame Weise von ihrer eigenen Schwäche abzulenken suchen. In seinen späten Notizen entlarvt er den Antisemitismus als eine Ausgeburt der Rache am «esprit» des jüdischen Volkes: «Die Antisemiten vergeben es den Juden nicht, dass die Juden Geist haben – und Geld: der Antisemitismus, ein Name der Schlechtweggekommenen».
Als sich beginnende Erfolge seiner Bücher abzeichneten, meldeten sich auch erste Spähtrupps „kleiner, brauner Spießer“, die sich dadurch auszeichneten, indem sie Nietzsche vollkommen falsch verstanden. Sein Kommentar: „Dies Gesindel wagt es, den Namen Zarathustra in den Mund zu nehmen! Ekel! Ekel! Ekel!
Soviel zum Antisemitismus heute, gestern und morgen und der Aufarbeitung durch verständnisvolle Politik, die sich endlich anmaßen sollte kein Verständnis mehr für Antisemiten und Fremdenhasser aufzubringen.
gewalcker@t-online.de

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Warum es die Welt doch gibt!

Vom Menschen lernt der Mensch reden, von den Göttern schweigen.

Sloterdijks letztes Opus, „Die schrecklichen Kinder..“, konnte bei mir keine Flamme mehr entzünden, nachdem sein „geliebtes Frankreich“ schon mehr als wunderliche Skizzierungen offenbarten.
Ich habe den Eindruck, dass er hier in den „schrecklichen Kinder“ einer Art negativer Geschichtsphilosophie aufgesessen ist. Dazu kommt, dass ein Schreiber nicht in den Begriff verliebt sein darf, wie eitle Schauspieler sich in verzückten Gebärden weder profilieren noch Gefallen erwecken.
Philosophen sollten den Unsinn, die Menschenwelt deterministisch zu deuten, also „seit der Revolution gibt es das Böse und/oder die Zustände, die wir heute nicht mehr ändern können“, den naturwissenschaftlichen Abstraktionen überlassen. Es hilft uns überhaupt nichts. „Denn was ist es der Mühe wert, dasjenige Vergangene in die Erinnerung zu rufen, das nicht zu einem Gegenwärtigen werden kann.“ (Kierkegaard – Furcht und Zittern)
Selbst in einem Flammenmeer kann ich ein Leben führen, dass meine Bestimmung mir aufträgt, wenn ich auf diese Stimme zu hören in der Lage bin. Hierzu hilft mir die Existenzphilosophie von Kierkegaard über Heidegger bis Camus ganz gewaltig weiter, ohne genötigt zu sein, irgendjemanden Gottes in Frage zu stellen, aber eben selbstverantwortlich in der Welt zu stehen.
Bei so traurigen Vorgaben, wie sie die Geschichtsphilosophie bereit hält, wird mir die Verantwortung aus der Hand genommen und auf der Hintertür wird das Schicksal oder das Absolute oder eine nicht korrigierbare Abstammung wie sie bestenfalls Ödipus widerfahren ist, der Entscheidungsträger, der mir alle Verantwortung abnimmt.
Das Verdammtsein, das die Christen-Theologie von der Antike leichtfüssig übernommen hat, die Sünde, die Schuld, all diese ganze traurige Höhlenmalerei des Mittelalters, die unter Auslassung des christlichen Heilsgedankens nun in unserer weitgehend agnostischen Gesellschaft übernommen wurde, wobei die Schuld und die Sünde heute vor allem im Vergehen gegen wirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund gerückt wurden, und somit aller christlichen Ethik beraubt in einem kuriosen Rahmen ihre Wirkungen entfaltet. Immer noch als Moral dahertappt, obwohl Moral einen Gott braucht oder wenigstens einen Apostel.
Wer die Gesellschaft wirtschaftlich schädigt ist nun Sünder par excellence (Hönes) , während ich protestiere und sage, es gibt überhaupt keine Sünde und Schuld, höchstens den Bruch mit Regeln, die man akzeptieren kann oder nicht. Daran ärgerten sich die alten Juden am meisten, dass Jesus (der für sie Mensch und nicht Gott war) die Sünden vergeben wollte. Auch hier offenbart sich, dass Moral und Sünde eine Sache Gottes ist. Wenn ich daran nicht glauben kann, dann gibt es das alles schlichtweg nicht.
Aber ich bin als Existenzialist der Auffassung, dass man sich selbst Regeln setzen muss, sich mit der Gesellschaft und ihren Regeln arrangieren muss. Völlig egal, ob man daran glaubt oder nicht.
So wie man im Verkehr nur vorankommt, wenn man die Verkehrsregeln einhält. Das ist also eine ganz pragmatische Sicht der Dinge. Während ethische Regeln oder Gebote nur dann Sinn machen, wenn ich an dahinter liegende Ideen glauben kann. Wer nicht glaubt und dennoch meint ethisch zu handeln, befindet sich elementar im Irrtum.
Ohne Glaube gibt es keine Moral.
Damit komme ich zum Thema, warum es die Welt doch gibt: weil sie im Individuum Gestalt findet! Zwar in milliardenfacher Spiegelung und Brechung, aber in jedem einzelnen Menschen findet eine vollständige und abgerundete Welt statt, die mehr ist, als eine abstrakte Theorie der Naturwissenschaft, deren Aporien laufender Verwerfungen unterliegen. Während dem einzelnen Individuum seine Vorstellung von Welt, zwar ebenso im Fluss begriffen ist, aber in jedem Moment, in jedem Augenblick eine vollständige einzige Welt darstellt. Jeder trägt seine Welt, seine Zeit und seinen Raum in seinem Kopf, und das ist eine ganze vollständige Welt, angereichert mit abstrakten Vorstellungen, auch materiellen Erscheinungen, die aber einzig und allein einem Individuum zur Verfügung stehen.
Die Konstruktionen, die scheinbaren Tatsachen, der Glaube, und zwar auch der Glaube an irgendwelche Bestimmtheiten oder Wahrheiten und das Wahrnehmen von Tatsachen, all das zusammengenommen und vielleicht noch viel mehr, das ergibt das Bild, mit dem wir unsere Gestaltung der Welt vornehmen. Es gibt also nicht ein fertiges Bild der Welt, das uns irgendjemand reicht und das wir zu schlucken haben, sondern wir konstruieren unser Bild von der Welt zu erheblichen Teilen selbst.
Je mehr Wissen wir an uns heranlassen, desto mehr Spielräume öffnen wir uns. Wer nur ein Buch gelesen hat, oder aus dem ihm gepredigt wird, der kann mit relativer Zeit und Raum nichts anfangen und was viel schlimmer ist, der kann die Welten anderer nicht verstehen.
Der heutige Individualismus, der die Welt im Kopf jedes Einzelnen entstehen lässt und für gültig proklamiert, lässt nicht zu, dass Metageschichten, seien es Konstrukte wie der aus der Geschichtsphilosophie entstandene Marxismus oder die sich in zweitausend Jahren unterschiedlich entwickelten Formen des Christentums, Weltbilder darstellen, denen ganze Gesellschaften zu folgen haben. Denn es gibt diese Welt nicht, die diese Weltanschauungen in Bildform zelebrieren.
Es gibt nur die Welt im Kopf des Individuums.
gewalcker@t-online.de

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Kierkegaards Resignation

Gleich vorneweg, hier spricht kein Kierkegaard-Kenner, auch keine von Glaubenskraft gestählte Person redetet hier. Sogar eher ein Zweifler und Skeptiker kommt zum Vorschein.
Ein Ästhet, ein Romantiker, der sich im Garten Epikurs verirrt hat, und der hier einen einzigen Menschen gefunden hat, einen Gläubigen, der nicht »Glauben machen wollte«, weil er das Verhängnis der Ideologen, die sich im Kreuzgang bestens auskennen, selbst gut kannte.
Nur eines sei gewiss, es redet einer im Selbstgespräch, um seinem Weg eine Richtung zu geben, nicht um andere hinzuweisen. Es soll ein Selbstwerdungsprozess sein.
Also keine Predigt findet statt, sondern einen Versuch Kraft zu finden für ein ungeheures Vorhaben.
»Wer nicht arbeiten will, der gebärt Wind…«, sagt Kierkegaard und meint unter Arbeit nicht das belanglose Abspulen eines Achtstundentags, sondern er meint geistige Arbeit, das tiefe Eindringen in ein Wissen, das mehr ist, als die Ansammlung von Fakten. Seine drei grundlegenden Existenzformen, »Ästhet, Ethiker, Glaubender«, hier gleich vereinfacht dargestellt, wie es sich entwickeln könnte, hat er selbst durchlebt.
Lassen Sie mich gleich einwerfen, dass ich beim Gros der Kirchgänger überhaupt keine Existenzform vorfinde, genauso wenig bei überzeugten Demokraten oder Museums-und Konzertbesucher.
Denn kaum einer hat sich je dieser Frage »wie will ich sein?« gestellt.
Sich den Umständen ergeben, den bequemen Weg an der Leitschnur ablaufen, dem mainstream folgen und keinerlei Reflexionen betreiben, all die Mahnungen die das Leben und der Traum ihnen zuruft: »Entscheide dich!« und standhaft ignorieren, sind Zeichen tiefster Verzweiflung, welche Ästhetik, Ethik oder Glauben eher in eine Form von Drogenkonsum rücken, als dass wir hier die kierkegaardsche »Arbeit« am Werk sehen, die in eine Existenzform führen könnte. Kierkegaard nennt sie »die Sitzengebliebenen, die nicht zum Tanze kommen.«
Kierkegaard hat in seiner Schrift »Furcht und Zittern«, dessen Titel abweisend sein sollte, denn er wünschte sich, wie Nietzsche auch, keine Jünger, die über seine Schriften schwätzen (wie hier nun leider geschehen), sondern existentiell Handelnde. Das heißt, »wer den ersten Spatenstich nicht gemacht hat, der hat kein Recht mitzureden.« Und dieses Eintreten ins kierkegaardsche Erdreich ist die »Resignation«.
Ein Begriff, den wir erst nach heftiger Lesearbeit kapieren. Es könnte auch Verzicht heißen, aber es ist mehr.
Das Bild des Gegenstandes, auf den wir verzichten, soll lebendig bleiben, die Flamme darf nicht erstickt werden. Die Liebe zu dem verzichteten Gegenstand soll erhalten bleiben und in dem Moment des Verzichts in uns verewigt werden.
Der Mensch hebt sich aus der Zeitlichkeit heraus, »denn wer unendlich resigniert hat, der ist sich selbst genug..« das ist die kierkegaardsche Resignation.
Hier herrschen Friede und Ruhe wie auf der böcklinschen Insel, und es riecht nach Efeu, Zypressen, Meerwasser. Ein letzter Strahl der untergehenden Sonne streift das weiße Gewand des Rituals. Hier noch ein letztes Mal Ästhetik.
Und dann hören wir »Die unendliche Resignation ist das letzte Stadium das dem Glauben voraus geht.«
Ebendiese Arbeit des Verzichts, der Bewahrung, der Liebe, muss also geschehen, sie muss endgültig eine scharfe Trennung von Zeit und Unendlichkeit bewirken, bevor ich glauben kann.
Die Bewusstwerdung einer ewigen Gültigkeit muss vor dem Glauben stehen. An dieser Erkenntnis zu arbeiten ist der erste Schritt in eine tiefere Existenzform vorzudringen – und erst dann kann die Rede davon sein, kraft des Glaubens das Dasein zu ergreifen.
Dieses Habhaft werden des Glaubens stellt das Paradoxon des Daseins dar.
Wir sehen also, dass »Glauben« bei Kierkegaard geistige Arbeit voraussetzt, die von Kraft und Willen geprägt sind und die oberste und ausschließliche Priorität besitzt.
Die Voraussetzungen von Glauben sind hier schon so bedingungslos gesetzt, dass die Chance den Glauben ergreifen zu können, das Absurde das mit dem Glauben verwoben ist, nur unter konzentrierter Kraft ermöglicht wird.
Das Auslassen aller Nebenkriegsschauplätzen, eben der Verzicht, vielleicht sogar eine krude Form der Asketik, lassen den Schluss zu, dass der Weg nicht steiniger sein kann, eine solche Bewusstwerdung durchzustehen. Es gibt hier jedoch keine halben Wege.
Aber »der, wer Glauben hat, wie ein Senfkorn, Berge versetzen kann,« darf eben nicht mit einem Bündel Kompromissen sich auf den Weg machen.
Kierkegaards höchste Existenzform, der unbedingte Glaube zu Gott, die einzige Verantwortung gegenüber Gott, kommt auch in der hier besprochenen Schrift »Furcht und Zittern« zur Sprache in dem Gleichnis von Abraham und Isaak. Der Vater ist bereit den Sohn zu opfern im unbedingten Glauben an Gott.
Wir sehen an diesem Beispiel, dass dem Glauben die unbedingte Resignation vorausgehen muss, weil sonst die Liebe des Vaters zum Sohn den Glauben verhindern würde.
Eine ganz andere Perspektive aus diesem Beispiel und dem »unbedingten Glauben zu Gott« habe ich in der Betrachtung von islamistischen Selbstmordattentätern gewonnen, die sehr wohl eine solche kritische Existenzform erreicht haben, indem sie auf ihr Leben verzichten indem sie vermeinen einem solchen unbedingten Glauben zu besitzen. Denn dieser Glaube, das ist bei Kierkegaard exakt begründet, setzt sich über alle Ethik hinweg.
An diesem Punkt, in der Unbedingtheit des kierkegaardschen Gottglaubens, wird es sehr schwierig sich zu entscheiden.
Ich denke Kierkegaard war sich aller Konsequenz bewusst. Aus diesem Grunde ist genau dieses Thema in seinen Büchern schwer zu fassen.

gewalcker@t-online.de
11.Mai 14

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Vom Leiden zur Bejahung

Ostern eben, – Metamorphose.
Als er vor einem viertel Jahrhundert die Lieblingsdrogen Alkohol und Nikotin gegen zwei andere eintauschte, Koffein und Sauerstoff, begleitete ihn seither ein Schatten, der oft unverhüllt als ein nietzscheanischer Sisyphos erschien.
Nur ständige Beanspruchung, der Wille seinen Platz in der Welt zu finden, das scheinbare »Leiden«, das ja ohnehin nur als verweichlichtes Eigen-Mitleid ins Gemüt schleicht, zu zähmen, wurden zu erklärtem Ziel.
Der Sauerstoff war Symbol und Mittel in die Natur aufzugehen geworden.
Nicht das H2O der Hospitäler und Halbtotanstalten, sondern der Stoff, den Wald und Wiesen ihm bieten, wenn er seinen Berg hinaufsteigt. Oben angelangt ruft ihm Albert Camus zu: »Sisyphos, Du musst glücklich sein!«, gepaart mit Nietzsches Stimme aus Sils Maria.
Jahrhundertelang haben uns die »Geistlichen« zugeflüstert, Natur und der menschliche Körper seien »schuldbehaftet«.
Man hat uns die Sünde von morgens bis abends um die Ohren geschlagen, bis wir das Natürlichste der Welt, den normalen Sexualakt zwischen Mann und Frau, als große Schuld wie einen Mühlstein mit uns herumschleppten.
Es kam »Die Krankheit zum Tode« von Kierkegaard, es erschien »Jenseits von Gut und Böse« von Nietzsche. »Schuld« und »Sünde« wurden in anderen geistigen Dimensionen diskutiert.
Heute tritt uns nicht mehr der »Geistliche« als lebensverneinend in die Quere, er hat sich eher ins Populäre geoutet, sondern Politiker, Sportler, Schauspieler.
Die haben sich zwar auch popularisiert, aber sie erheben keinerlei Ansprüche.
Sie fordern im Gegenteil von ihren Fans differenzierte Tugenden, nur Klugheit, Verstand, Scharfsinn und eine natürliche Moral für gut und bös ist unerwünscht.
Sie verunstalten die freie Sicht auf den Menschen von heute.
Wenn heutiges Bürgertum seine unermessliche Freizeit damit totschlägt, sich um »Futball« zu kümmern, ein Wort, das Verfechter jenes Futball mit glänzenden Augen aussprechen, und man glaubt, endlich haben diese Menschen ein Ideal gefunden.
Wird man rasch belehrt, dass die hell aufleuchtenden Bierdosendeckelaugen das Betrachten und emotionale Miterleben des Spieles meinen und nicht irgendwelche sportliche Aktivitäten. Denn keine zehn Minuten würden die meisten jener Bierbäuche überleben. Damit wird der Sportler zu einer zwielichtigen Gestalt, die ablenkt von der Hinwendung zur Selbstwerdung.
Beim Schauspieler wird die Situation noch drastischer. Menschen, die primär Schattenfiguren anderer Personen darstellen, die selbst kaum »Eigenes« offenbaren dürfen in ihrem Beruf. Wenn solche seelischen Halblinge in die vorderste Reihe der Idole marschieren, dann stimmt irgendetwas nicht mit dem Zuschauer. Ave, Cäsar Alzheimer, morituri te salutant.
Ausdrücklich meine ich nicht, die schwachsinnigen Filme in ARD und ZDF, wie »Tatort« oder noch schlimmer, die Diskussionsveranstaltungen, wo die schauspielerischen Eigenschaften von Politikern oder einschlägigen Mitschwätzern zur Schau gestellt und dem emotional angeschossenem Zuschauer zur Bewertung gereicht werden.
Sondern, die Masse an Schauspiel, welche der durchschnittliche TV-Glotzer in sich aufnimmt, generiert in dieser Person einen Persönlichkeitsverfall, indem er zu schauspielern anfängt. In jedem Moment, wo eine Kamera aufleuchtet, beginnt er nun, wie seine Vorbildern in ähnlichen Begriffen und Masken zu agieren. Entsetzlich! Man findet nicht mehr den Menschen, sondern nur noch Kopien irgendwelcher Schauspieler. Und die Komödianten tragen ja selbst in sich hunderte Seelen oder Rollen, nur keine eigene echte Charakteristik.
Die Gefahren, die vom Politiker ausgehen, Personen also, die primär das Maskenspiel von Bühnenkünstler übernommen haben und sich an gängigen Sportlerattitüden orientieren, um Beliebtheit zu pegeln, müssen wir uns nicht ausdrücklich zu Gemüte ziehen. Politikereinfluss ist dieser Tage dank der Macht der Medien begrenzt. Es stellen heute eher die Massenmedien Gefahrenpotentiale dar, die jeder für sich selbst regulieren kann.
Bleibt zu Resümieren, der einzig echte Weg, der jedem Einzelnen aufgegeben ist, ist diesen Weg zu finden, ohne die Einflüsse auf die eigene Person übermächtig werden zu lassen. Dann, wenn der nicht verschüttete Instinkt auflacht und spürt richtig zu liegen, dann wird alles gut.
gewalcker@t-online.de

Wenn keiner mehr nach dir fragt, bist du angekommen in deinem eigenen Haus.
Botho Strauss, Lichter des Toren

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Ungefähre Landschaft

Seit dreißig Jahren genau beschäftige ich mich mit Computer -Spiel, -Bild,-Musik, -Textgestaltungen. Unter anderem mit den Möglichkeiten Gesamtkunstwerke erfahren oder gestalten zu können.
Der virtuelle Rahmen, den der Computer bereit stellt um »Schein« erfahren zu können ist riesengroß, wäre unbegrenzt gigantisch, wenn nicht die Maschine immer wieder durchschimmern würde.
Das Malen auf dem Computer zum Beispiel wird zur Zirkusnummer, wenn man über versehentlich betätigte Funktionstasten die »Pinseleinstellungen« durcheinanderwirft. Ähnliches geschieht bei digitalen Musikaufnahmen oder Videoeinstellungen. Das kreative Spontanerlebnis wird in solchen Fällen durch die Maschine und seiner Befehlsstruktur lahmgelegt.
Wer immer wieder neu auf den Computer zugeht erfährt aber mit Kinderaugen und Ohren Initiationserlebnisse, die bereichernd sind, wenn der Gestaltungsprozess im Vordergrund steht und nicht der Weg des Konsumierens.
Wirken und Gestalten, das ausschließlich über die Transformation via Computer festgehalten und weitergegeben wird, ist blutleer, ein rauschendes Fest in Fakten und Zahlen.
Während die Materialfarbe, der natürlich angestimmte Ton, das gesprochene Wort, die mit Haut und Organen wahrgenommene Welt erst ästhetisch grundsätzliche Gefühle ermöglichen.
Wir verlernen immer mehr Verständnis für unsere Mitmenschen aufzubringen, weil wir über die verschiedenen Kisten, die uns all die Medienportale zur Verfügung stellen, zur Oberflächlichkeit hingeführt werden.
Hundertfünfundzwanzigtausend Tote in einer Fünfminutenmeldung geht uns kaum unter die Haut, ähnlich einem Drohnenjunkie in Texas, der just 25 Pakistanis über den Haufen geschoßen hat, dem keine seelische Belastung für die Bedeutung seiner Tat angedeiht. Geschweige, dass in solch einem Fall Unrechtsbewußtsein greift.
Ich möchte das alles nicht tiefergehend moralisieren, sondern darauf hinweisen, dass wir uns der Distanz zum Computer bewusst sind und uns leicht aus der Verantwortung schleichen können – sowohl ethisch wie ästhetisch.
Ein Übel ist es, wenn ältere Menschen, die auf hervorragende Leistungen in ihrem Leben hinweisen können, beginnen, sich für den Computer zu interessieren.
Im hohen Alter, wo sie die Reife haben aus ihrem Leben zu schöpfen, werden sie so zu täppischen Affen, denen der Urenkel erklären soll, mit welchem Kommando die Grußkarte an Tante Vanessa ausgedruckt werden muss.
Hier wird der Computer zum quälenden Dämon der standhaft verhindert, dass Einer zu sich selbst kommen kann.
Die Radikallösung, die immer wieder von linken und rechten Intellektuellen gepredigt wird, auf all diesen Pseudofortschritt zu verzichten, hat ihre Berechtigung da, wo klare Zwecke und Ziele angestrebt werden. Aber: Ein Wissender braucht keine Ratschläge. Der Unwissende braucht sie. Und der wird von dieser Radikalität eher verunsichert.
Die Kinder, die mit dieser Maschine aufwachsen, welche unheimlich starke Emotionen auslösen kann, mit all ihren sinnigen- eher unsinnigen Spielen, sind die eigentlich Leidtragenden dieser technischen Entwicklung. Weil sie zu einem unbedingten Konsumverhalten hingetrieben werden, was natürlich Programm ist.
Gegen den Markt anzureden, das ist bei uns heutzutage das größte Verbrechen.
Nicht die paar geilen Hanswürste, die sich Bilder von nackten Kindern herunterladen vergehen sich, sondern das Militär in USA und Europa sowie die Waffenindustrie, die solche Spiele finanzieren, um den ständigen Krieg in der Bevölkerung präsent zu halten.
Sie treiben zielgerichtet junge Generationen vor sich her in die Konsum- und Gewaltbereitschaft, in verantwortungsloser Weise. Man muss es deutlich machen, dass unsere Rechtsprechung und die unterschiedlichen Formen von Realität sehr weit auseinander gehen können.
Nur Ästhet sein, der dem Computer ein Chance gibt, gilt nicht. Jeder wird leicht erkennen, welches Problem im Hintergrund lauert.
gewalcker@t-online.de

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Gedanken beim sonntäglichen Frühstücksfernsehen

„Nach dem Heiligen entschwindet auch dessen Sprößling, das Ästhetische; die aufrührerischen Titanen werden in diesem Jahrhundert mit der grausamen Züchtigung bestraft, nämlich senilen Schwachsinn.“ Elèmire Zolla

über das Projekt „Orgel“

Mallarmé soll Ende des 19.JH geäußert haben, dass sein Dichterwort nicht mehr mit dem Gegenstand seiner Poesie direkt verbunden sei. Bis dahin galt die Einheit von Wort und Bild.
Das scheint ein Grundproblem der Missverständnisse zwischen Dichtung und Kunst der Romantik gegen die Auffassung der Moderne des 20.Jahrhunderts zu sein.
Die im Mittelalter gemalte Jungfrau, sie existierte als Maria unter der Gestalt von Farbe und Leinwand, sie war kein Abbild sondern leibhaftig anwesend. Ihr Dasein war nur abhängig von der Kraft des Betrachters.
Die in der Frühromantik geschaffene Orgel war “die Stimme Gottes”. Das einzig künstlerische was von Gott geoffenbart werden durfte, denn es galt das Bilderverbot. Damit war die Orgel sakral, nur von auserwählten Schöpferhandwerkern mit begnadeten Händen darstellbar.
Nur diese berufenen Handwerker hatten die Macht, den Schleier vor dem Haufen Materie jener heiligen Maschine, zart öffnend zu bewegen, um die Gottheit zu offenbaren.
Im Zuge der industriellen Revolutionen, der Aufklärung, der Verhirnung europäischer Bevölkerungen, wurde das Wort, der Begriff radikal vom Geschehen getrennt. So leiden wir heute unter dem Hypnosezustand der täglichen Journaille.
Wir können uns nur mit größter Anstrengung vergegenwärtigen, wie das Erscheinen des “Heiligen” die Kunst belichtete. Ich verweise auf Dichter wie Rudolf Borchardt, George Steiner, Botho Strauß, die im 20.JH wirkten..
Wer dem Kunstwerk, jetzt spreche ich von der Orgel, wie sie war, nicht über die Plastikbarockfratzen der Ars Organi, die puppenhaft uns angrinsen.Wir reden auch nicht über die in Konkurrenz zu HD-Programmen befindlichen Objekten, denen man mit fragenden Laborblicken begegnet.
Wer mit den Excellisten in der Hand, der gezückten Digitalkamera, dem Audio-Digitallabor im Gepäck, vor das sakrale Instrument tritt, der wird nicht viel hören von Gottes Stimme. Er wird nur physikalische Schwingungen wahrnehmen und einen Sack voll Daten nach Hause tragen. Wie ein kümmerlicher Zwerg vor aufbereitetem Feuerholz hört er einen todtraurigen Chor jammern, über den Abglanz jener verloren gegangenen Orgel.
Kann sein, dass ab und zu ein Schmetterling, ein schwebender Orgelregisterklang vorbeifliegt, in diesem Jahrhundert der Interpreten, der zart andeutet was solch reale Anwesenheit des Heiligen in uralten Zeiten für Begeisterungsräusche unter den Menschen auslöste.
Das Erahnen veranlasst uns Geist und Ohr in alte Zeiten zu versenken, doch dabei die Kultur der heutigen Zeit zu vernachlässigen.
Ein Problem tritt hierbei auf. Es ist die Frage nach der Verantwortung gegenüber dem Kunstwerk, das mit aktivem Verstehen erreicht wird, nicht aber mit Konsum.
Musik wird verstanden nur über “eigenhändiges Musizieren”; ein Buch ordentlich lesen lernt man durch eigene Schreibinitiative; Bildkunst erfährt man durch Malen. Orgelbau wird man am Ende nur verstehen, indem man mitten im Instrument tätig wird.
Die letzten Worte sind mein grundsätzliches Argument gegen ein von der Praxis getrenntes Orgelsachverständigenwesen. Es fehlt die Verantwortung gegenüber dem Kunstwerk “Orgel”, weil es nur passiv Entwicklungen zur Kenntnis nehmen kann. Die ästhetische Idee, wie anfangs geschildert, wird ignoriert.
Weitergedacht kommen wir an einen Punkt der Konservatismus auf Moderne aufeinanderprallen lässt.
Das Projekt “Orgel” hatte nur mit den Kleinorgeln der 1960er Jahre einen radikalen, eigenen letzten Stil entwickelt, der auf einem Denkfehler beruhte. Die Serie, gestaltet unter Zeitvorgaben, sparsamster Anwendung, geriet zu einer verdichteten Klangsynthese, wie wir es später nicht mehr vorfanden.
Das Ende der modernen Orgel, das mit der Bares-Orgel in Sinzig beschlossen wurde, wirkt auf die heutige Orgelwelt nur noch in begrenzten Impulsen.
Der Widerspruch zwischen Moderne und Konservatismus lässt sich auflösen, und synthetisiert Kunst mit Wissenschaft:
Die Moderne sagt, das Eine differenziert in tausendfältigen Variationen. Die Konservativen sagen, die gesamten Teile gehen zurück in das Eine. Die Physik spricht vom Urknall, in dessen Folge die Welt in Teilen vereinzelt und nach der Vollendung erneut in eins zusammenfällt.
Klar ist, dass alles von vorne beginnt. Bei Nietzsche-Zarathustra, am Bild des “Schild des Achill”, wird diese Wiederholung identisch. Es wiederholt sich exakt gleich.
Haben wir damit die Weltformel? Ist mit dieser Symbolik des Menschen Leben und Sterben gelöst?
Nur angedacht, wie gesagt, beim Frühstücksfernsehen, dem anschwellendem weißen Rauschen…
gewalcker@t-online.de

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über den Eros

Weil allzuviel Falsches damit bezeichnet wird, hier eine Erläuterung, die eigentlich nicht sein dürfte, weil der Eros das Wort nicht gut verträgt.
Am Anfang war der Eros, müsste man sagen, was mit „am Anfang war die Liebe“ übersetzt werden könnte, weil Liebe vor der Zeugung steht, aber was uns einen verknautschten Begriff serviert, der uns nicht viel gibt.
Eros steht eigentlich noch vor der Liebe, er verursacht Liebe, oder besser gesagt: Vertiefung.
Das Gegenteil von Eros kann man schon besser ausmachen, es sind Alltag, Durchschnitt, Gewöhnlichkeit, flache Buntheit, also alles Dinge, mit denen wir es bevorzugt auf dem Internet, in den TV-Medien, in Zeitungen und Zeitschriften zu tun haben.
Der Eros wird medial vorzüglich ermöglicht unter Auslassung von Hilfsmitteln, Technik etc., also er gedeiht vorzüglicher allein über das Buch oder durch die Musik. Eros gibt es auch durch den Rausch, aber nur einmalig, ganz selten.
Seinen unmittelbaren Weg aber geht der Eros über das Erlebnis, das geradezu keiner Erläuterung mehr bedarf und eher unter der Deutung erstickt wird, als dass er durch Worte aufgehellt würde.
Eine Erinnerung an die Kindheit mit einem wiederkehrenden Geruch, einem Bild, das zarte Plätschern am Rande eines Sees im Herbst, auf dem ein Schwan die Runden dreht und ein Vogel kreischt oder die Melodie einer Symphonie kann Eros hervorrufen. Aber es ist ausdrücklich ausgeschlossen, dass man Eros willentlich herbeiführen kann. Vielleicht kann das ein Kind, einmal, zweimal.
Drei wesentliche Eigenschaften begünstigen den Eros, Dinge, die der heutige Schnittbürger kaum mehr kennt: viel Zeit haben, ausgeglichen sein, sich am Leben freuen.
Das Interesse sollte zwar da sein, aber nicht überwiegen.
Eine zärtliche Zurückhaltung anstelle Lebensgier. Das Herz muss weit geöffnet sein. Ein lachendes Auge. Pubertät. Eine überwundene Trauer, eine überstandene Krankheit, ein gegen seinen Erzfeind errungener Sieg, ein Frühling, ein Herbst, vielleicht sogar der Eintritt in eine Krankheit oder in ein Abscheiden, alles dies sind Möglichkeiten, die den Eros begünstigen.
Wahrscheinlich gibt es von 10000 Menschen nur einen, dem die Erscheinung des Eros ermöglicht wird, oder der die Gabe besitzt den Eros anderen Menschen erscheinen zu lassen. Vielleicht waren alle Religionsgründer solche Menschen. Allle Formen von Heiligenerscheinungen gehören hier her, die Magie und Zaubereien aller Art, der Künstler der Neues schaffen will muss Jünger des Eros sein.
Komponisten, Maler, Dichter, Seher und große Forschernaturen sind die vom Eros begnadeten auserwählten Menschen, wobei die Intensität des Eros sich nicht im Werk niederlässt, wie man meinen sollte, sondern die Strahlkraft eines der ganz großen Komponisten, wie zum Beispiel Johann Sebastian Bachs, ist auf mehrere glückliche Momente begründet; nicht zuletzt auf Umstände, wie technisch-praktische Ausführung der Kompositionen und der ganz alltäglichen Mühlsal des Notenschreibens. Da wirkt zwar noch der Eros mit, würde aber im hellen Auflachen der ganzen Kraft des Eros die Verwirklichung einer solchen konstanten Kompositionsleistung eher verhindernd wirken.
Es ist also nicht einfach zusagen, was der Eros eigentlich ist und wie man diese Kraft zur Steigerung der Lebensintensität nutzen könnte. Gerade weil dieses „Flügelwesen“, das nach Belieben in unser Leben tritt und wieder geht, weder Nutzen noch Berechnung kennt. Das Festhalten aber dieses „fliehenden Wesens“, das noch nicht einmal genau gedeutet werden kann, ist völlig unmöglich.
Der Eros wurde bei den antiken Griechen mit Flügeln dargestellt. Er war eine göttliche Macht, die aus dem „Chaos“, der gähnenden Leere, den Menschen überfallartig packt. Später hat man im Hellenismus dieses Symbol verniedlicht, als Engelsknabe der mit Pfeil und Bogen und goldener Pfeilspitze ins Herz des Menschen traft und so dessen Leidenschaften entfesselte.
Diese Verkitschung ist uns als Bild des Eros gegenwärtiger denn je.
Es wird Zeit, dass wir ihn wieder suchen, den echten und wahren Eros, der uns von den Göttern, wenn überhaupt, nur Sekundenbruchteile zur Verfügung gestellt wird.
gewalcker@t-online.de

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Die Freiheit führt das Volk…

Tagebucheinträge eines skeptischen Zynikers
Kann man sich Rousseau oder Voltaire lachend vorstellen? Schallend lachend?
Ich denke ja, man kann es, zum Beispiel beim Frühstück bei Quincys, wenn die Spätgeburt des französischen Ideals der Revolution per batteriegetriebenem Rollstuhl im „all-you-can-eat“ sich auf den ersten Gang der Verdauung vorbereitet. Ein Magen fährt dort spazieren, lädt mehrere Teller voll mit allen möglichen Saucen, Breis und verzuckerten Getränken in Pappbechern auf seinen Wagen, die er in den nächsten zwei Stunden vorhat über den Kopf in sich einzuführen.
Die zweiten und dritten Gänge dieser Verdauung ersparen wir uns darzustellen. Aber ein Beispiel us-amerikanischen Lifestyles können wir so mit wenigen Worten darstellen.
Ein trauriges Kapitel natürlich, doch ein Kapitel, das uns ununterbrochen in den Staaten begegnet. Essen und Shoppen als Hauptbeschäftigung. In den wenigen Augenblicken, in denen man sich unterhält, spricht man eben über Essen und Shoppen, „sorry did you watch TV this morning?“.
Halt, es gibt noch andere Themen, so zum Beispiel den Super-Bowl, dann der „privat talk“ über den „car“, „weather“, „football“, …, aber lassen wir das, werden wir nicht zu aufdringlich, privat bleibt privat.
Max Frisch, er war Schweitzer und konnte es sich so schließlich erlauben zu sagen: „mit einem Amerikaner führst du ein Gespräch maximal 20 Minuten, dann hat er dir sein Leben erzählt, sein ganzes Leben, danach kommt absolut nichts mehr.“ Das war frech, aber ins Schwarze getroffen.
Wer diesen unausgesprochenen Sicherheits-Streifen des Small-Talks durchbricht, also länger als zwanzig Minuten mit einem Amerikaner zu sprechen, vielleicht sogar eine Andeutung macht etwas in die Tiefe zu treiben, er wirkt bei Amerikanern ähnlich wie Hannibal Lector. „Der will nicht nur mit uns gemeinsam speisen, nein, der will uns fressen“, so die bereits durch Steven King ins Kinderzimmer überbrachte Überlebensformel: „trau keinem Anfang, denn es endet im SHINING“. Oder die „message“ ist, das alte pietistische Denken, die Stagnation, hat uns Weißen das Land gegeben, Wandlung ist wie MICHAEL JACKSONS GHOSTS, immer eine Form des Verfalls.
Die Wandlungen allerdings, die das amerikanische Volk fest im Griff haben, wir würden es als Krankheiten bezeichnen, nämlich der körperliche Verfall in Form von Verfettung, der den meisten Amerikanern offensichtlich ist, über den man aber nur hinter vorgehaltener Hand spricht, während der geistige Verfall, die Verblödung der mittleren und unteren Schichten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird. Ursache dieser Verblödung scheint das von der Wirtschaft getragene Ausbildungssystem der Universitäten und Highschools zu sein. Oder auch die von den Medien heruntergefahrenen Ansprüche. Etwas, das bei uns in Deutschland bereits strategisch angegangen wird und erste Erfolge zeigt.

die_freiheit_fuehrt_das_volk
(in Anlehnung an Eugène Delacroix’s Gemälde)

Ich denke auch an einen kleinen Vorfall, als ich das Interview von Snowden in den USA in der ARD sehen wollte und das Ding dort einfach unzugänglich war. Dann kam heraus, dass die ARD mit der NSA abgesprochen hat, das Interview nur deutschlandweit zu zeigen. Einfach nett, wenn sich zwei Verbände zusammen tun und dabei der Schein gewahrt werden kann.
In meinem Tagebuch steht der Satz „Wenn wir Menschen diesen Planeten verlassen haben, werden Flöhe und Wanzen aufschreien und sagen: endlich sind diese Schweine fort!“
Im Angesichte der Tatsache, dass die Antarktis ausgebeutet werden soll. Kann man sich vorstellen, was eine ähnliche Katastrophe wie im Golf dort auslösen wird? Oder trifft es einfach zu, dass die Verblödung bei uns bereits ähnliche Ausmaße angenommen hat, wie in den Staaten, und wir nicht mehr das Potential haben über solcherlei Folgen nachzudenken.
Dass nämlich nicht der Intellekt sondern der menschliche Instinkt deformiert ist, der des Menschen Nachhut nicht nur die paar Jahre der Aufzucht in Sicherheit wiegt, sondern zukünftigen Generationen Sicherheit gewährt. Dies alles gilt nicht? Nur heute und der Augenblick sind noch im Blickfeld?
Der Einblick in die Gesellschaft der Nordamerikaner offenbart mir einen Schrecken, den ich nicht vorher zu glauben gewagt hätte. Eine unterschwellige Angst hat mir bestätigt, dass wir in Europa auf dem völlig falschen Weg sind, in eine solche Zivilisation hinein zu stolpern, die von der Struktur her das genaue Gegenteil des biblischen Paradieses avisiert.
Obwohl die Pfeiler und die Basis dieser Gesellschaft kerngesund und Voraussetzung war, dieses riesige Land zu beherrschen. Durch die Veränderung der Umstände auf dieser Welt, haben sich die Perspektiven grundlegend geändert. Was früher Voraussetzung war, wie zum Beispiel Anwendung eiserner Disziplin, kann zum Horror ausarten, wenn es an einem labilen Dummkopf angewendet wird, der sich im Walmart für 300 US$ eine Pumpgun kaufen kann.
Wer das Maß so grundsätzlich verloren hat, wie der US-Amerikaner, darf und kann nicht führende Nation dieser Welt sein. Die Araber haben in diesem Punkte einen sicheren Instinkt bewiesen, während Tante Merkel ohne Obmann keinen vernünftigen Satz radebricht. Diese Frau denkt nicht in Kategorien des Abendlandes, sondern in denen einer befreiten DDR und fühlt sich pudelwohl, wenn für ein paar Tage schöne Zeilen über sie in der Bildzeitung stehen.
Das hermetische Abriegeln der USA vor anderen Staaten und anderen Gedanken entspricht exakt der gleichen Methode unserer europäischen Faschisten ab den 1920er Jahren. Wir können die USA aus der Geschichte anderer Diktaturen vergleichen und werden erkennen, dass der Weg den dieser Staat gehen wird vorgegeben ist, trotz all dieser scheinbaren humanitären und offenen Gesellschaft, die sie in der Tat überhaupt nicht ist. Die USA sind ein durch und durch militaristischer Staat, der immer, sobald er mit den Staatsfinanzen halbwegs klar kommt, mit militärischen Mitteln seine Konflikte an anderen Ländern austragen wird.
Wir Deutschen können einfach nicht ewig den Amerikanern dankbar sein, dass sie uns zwei, drei Jahre lang tatsächlich enorme Hilfe nach dem Krieg angetragen haben. Wir müssen einfach die geänderte Welt und die heutigen Amerikaner endlich neu einzuschätzen lernen.
Wir sollten die Äußerungen dieser Gesellschaft deswegen studieren, weil unsere Gesellschaft genau auf diesem Weg ist: einer Gesellschaftsform deren Grundterminus das Misstrauen ist. Vertraut wird nur dem Geld.
Der Kranke wird ins Spital gefahren, an der Pforte Frage nach der Kartennummer (egal ob es die Versicherungs-oder Kreditkarte ist), verneint der Halbtote, wird er wieder hinausgefahren und dem Friedhof offenbart. What’s that for a kind of humanism?
Thank you, it was nice having you with us….
gewalcker@t-online.de

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analog versus digital

Einer Gesellschaft, die gerade die ersten drastischen Auswirkungen des Klimawandels erfährt, muss man nicht erklären, dass Technik nicht nur das Heil der Menschheit im Visier hat, sondern gleichfalls mit Nachteilen aufwartet, die oft sehr spät ihre Auswirkungen zeigen.
Aber es ist interessant zu sehen, dass die enormen ästhetischen Qualitätseinbußen, die bei der Herstellung von Kunstwerken eintreten, unter der Voraussetzung bestimmte Techniken zu verwenden, bei den Künstlern und Konsumenten kaum zum Widerspruch führen.
Wer einmal mit Künstlerölfarben gemalt hat weiß, welche Einbußen an Farbenqualität er mit Photoshop und Company erfahren wird. Man mische nur ein Zinkweiß mit Ocker und Karminrot und ziehe einen 10 cm langen Pinselstrich, den man nach Aushärtung einscannt, um ihn am Monitor genauer zu betrachten. Schnell wird man erkennen, dass die unendliche Graduierung vom Weiß zum Rot oder Ocker sich in Pixeltreppen, die farblich und in Pixelmaßen gefasst, richtiggehende Stufen auflöst.
Die ursprünglich „unendliche“ Struktur der Farb- und Helldunkelgrade wird zerstört und aufgelöst in eine mathematische Struktur.
Ähnlich verhält es sich, wenn wir Orgelklang mit Midi-Technik aufzeichnen. Der Aufnahme wird eine zeitlich exakt vordefinierte Struktur übergeworfen, der jedes freie Interpretieren und Improvisieren untergeordnet wird. Der „Menschenvortrag“ an der Orgel, den wir als Hörer mit kleinsten Abweichungen von kleiner als 1/1000 sec beim Anschlag einer Note registrieren und so Interpreten heraushören können, wird der Maschinenstruktur, egal wie tief das kleinste Zeitelelement auch sein mag, untergeordnet und egalisiert. Das „Menschliche“ wird dieser Musik ausgetrieben.
Hinzu kommt bei diesen Midi-Aufnahmen, das sie in zweifacher Hinsicht begrenzt werden. Einmal, durch das erwähnte zeitliche Raster, das diesen Aufnahmen zugrunde gelegt wird, zum Zweiten wird ja die Klangaufnahme digital durchgeführt, wobei der Klang noch zusätzlich, ähnlich der Ölfarbenmalerei in der Qualität einer fest vorgegebenen Struktur unterworfen wird, die dem originalem Klang nie entsprechen kann.
Der Irrtum in der Akustik kommt allerdings in einem ganz anderen Gewande daher als bei der Bildkunst. Hier nämlich, in der digitalen Klangerzeugung und Aufbereitung haben wir in den letzten 100 Jahren ganz enorme Verbesserungen erfahren, weswegen kaum noch einer die Hand hebt und sich dagegen äußert. Außerdem ist es ja völlig abwegig wie beim Ölbild eine akustische analoge Aufzeichnung zu präsentieren, außer unter Musikern eben in Form von Noten. Hier aber haben wir aber eine Struktur, die genau die menschliche Wiedergabe und Improvisationslust voraussetzt, während die Maschine den Menschen ausschließt.
Der digital aufgezeichnete Klang aber ist es, der mich beschäftigte. Weil einfach das Aufnahmespektrum, selbst mit größerem technischen Aufwand zu begrenzt war, um zu sagen, hier haben wir etwas von der Originalität dieser Orgel wiedergeben.
Bei der Aufzeichnung einer Concertflöte geschah es, dass weit mehr das Klappern der Kegel wiedergegeben wurde, als es in der Natur der Fall war, und der geschmeidige Baß war nur als sterbendes Hauchen und Hecheln über die Lautsprecher wahrnehmbar. Dafür aber hat der Diskant mit gläsernem Spucken seine völlige Verachtung ausgedrückt, wo wir ein quirliges Holzspiel erwarteten.
Gründe dafür, warum originaler Pfeifenklang ganz besonders unter der „digitalen Klangaufzeichnung“ leidet, liegen in der großen Dynamik der verschiedenen Pfeifenklänge und in der Unvollkommenheit der Digitaltechnik. Hinzu kommen die unterschiedlichen Standorte der Pfeifen und Windladen, sowie die verschiedenen Akustiken und Geräusche in und um die Kirchen.
Wahrscheinlich nimmt der Mensch Klang über den ganzen Körper wahr und nicht nur über das Trommelfell. Wir spüren das deutlich bei Bässen. Und hier gibt es ja die seltsame Erscheinung, dass der Mensch Grundtöne im Hirn fabriziert, wenn er nur den zweiten und dritten Teilton hört. Dieses Phänomen haben die Orgelbauer genutzt indem sie aus den billigeren Oktav-und Quintpfeifen Baßregister hergestellt haben in sehr tiefer Lage. Akustische Meßinstrumente registrieren diese konstruierten Töne nicht.
Dieses Phänomen erinnert mich an Goethes Farbenlehre, mit der er gegen Newtons physikalische Lehre polemisierte, und ich denke, dass es heute genug Physiker gibt, die wieder Goethe recht geben, weil Farben eben im menschlichen Gehirn fabriziert werden und in der Natur ohne dieses Gehirn völlig unsichtbar wären.
Das menschliche Gehirn ist es also, das grundsätzliche Wahrheiten konstruiert, und hier meine ich den an den Sinnen angehängte Verstand, der über die Täuschung durch die digitale Technik eingetrübt werden kann.
Die Digitaltechnik hilft uns große Mengen an Informationen durch das Verschachteln in Bit-Byte- und Pixelstrukturen easy zu konservieren und hin- herzuschieben. Diese Verschachtelungen sind beim genaueren Hinsehen zu grob strukturiert, um die Natur und ihre künstlerische Darstellung durch den Menschen anspruchsvoll wieder zu geben.
Kunst und Natur zu sehen und zu hören wird über digitale Filter elementar gestört.
gewalcker@t-online.de

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Warum Romantik notwendig ist

Gedanken eines deutschen Orgelbauers an einer deutschen Orgel in Schottland.

Zwei Worte zur Einleitung:

Vielleicht gibt es einmal eine neue Form der gesellschaftlichen Erwärmung, eine Art „existentielle Romantik“.

Die „Vernunft“ marschierte während des Mittelalters aus der Kirche hinaus, weil Gott in dieser Welt nicht vernünftig sein kann (Theodizee). Sie widmete sich von nun an nur noch urbanen Dingen und wird zur Wissenschaft, was Nietzsche kommentiert mit den Worten: „Wissenschaft blüht dort, wo es keine guten Götter gibt.“

und nun der Text:

Diese Wissenschaften beschäftigen sich nur mit den Dingen, die sie mit ihren Methoden (Mathematik und Experiment) fassen können, also mit einem sehr geringen Teil der menschlichen Lebenswelt. Denn diese besteht neben Gefühl, Musik, Schönheit, Landschaft, Traum, in nur geringem Umfang aus Messen und Wägen mathematischer Abstraktionen. (Banker und Aktionäre ausgeschlossen – und dass Wissenschaft in diese Bereiche „Messen und Wägen“ hineininterpretiert, ist verständlich. Nur so kann sie partizipieren von Dingen, die ihr nicht zugänglich sind).

Das Gespensterreich von Gefühlen und Affektionen, dem Wissenschaft zwar Etikettierungen zu verpassen vermag, aber die lebendige, quirlige Bewegung und ihr Aufbäumen im menschlichen Geist, nicht in ihre Listen und Tabellen einzupressen in der Lage ist, hatte ihre finale große kulturelle Form in der Deutschen Romantik gefunden, die wir gerne als eine Gegenbewegung zur anstehenden Rationalisierung menschlicher Lebensformen sehen wollen.
Auch die musikalische Romantik war Ausdruck eines tief empfundenen Schmerzes im Anblick jenes Kolosses, der mit Vernunft nun die Menschenwelt reglementieren wollte. (Wir stehen momentan mittendrin in diesem Koloss und müssen uns eigentlich nur fragen, ob wir noch alle Sinne beisammen haben, um das zu erkennen und Handlungsspielraum zu haben).

Der letzte große Komponist dieser musikalischen Romantik war Max Reger, der sich im Anblick des Demiurgen, der eben nur mit einem Auge die Welt sieht, beinahe zu Tode soff und seelisch (1903) zu explodieren trachtete. (Den populistischen, französischen Kram, der die Tiefe von einer Trottoirpfütze kaum erreicht, bezeichnen wir einfach nicht als romantisch. Basta! Ausnahme: Olivier Messiaen).

Nun, die Romantik hat nur erreicht, dass sie in einer karikierten, pinkfarbenen Form, mitten im Herzen des Kolosses wiedergeboren wurde. Sie kann ihr Lebenselixier, das Genie, nicht in Gesellschaften entwickeln, die Gleichheit predigen. Sie kann nicht einmal mehr artikulieren, dass die dunkle Landschaft einer Bankenbilanz vorzuziehen ist, weil sich die ganze Gesellschaft in Gefahr sieht, am fehlenden Geld zu scheitern. Und natürlich ist klar, dass eine seit 3-4 Generationen an reiner Naturwissenschaft ausgebildete Jugend, ohne Bezug zur Antike und Musik, nur einförmig ins Land hinaussieht und damit keinen Überblick mehr zu den blauen Bergen hat.
Orgeln, die im Schatten von Wissenschaft gebaut werden, die Zählen und Wägen in den Mittelpunkt stellen, können nicht klingen. (das was ihr als Klang bezeichnet, nenne ich noch nicht einmal Geschrei, hat aber die gemeinsame Kategorie, laut sein.)

Fraunhofertabellierte Orgelmensuren sind die grandioseste Verulkung von Orgelgestaltung, die ich kenne und die unmittelbar mit „Malen nach Zahlen“ oder Kompositionen auf dem iPad gleichzusetzen sind. Die ingenieurhafte Durchgestaltung eines Musikinstrumentes wie der „Heiligen Maschine“ Orgel verursacht die einseitige Anhebung von technischen Qualitätsmerkmalen, begründet auch damit, dass Einfaltspinsel von Orgelsachverständigen das Ergebnis messen und zählen können, und das können sie endlich auch mit iphone Stimmgerät und schönen Abhaklisten. Der Technoidiot steigt aufs Podest des Siegers, zu Füssen liegt der Sänger, dessen Lied verklungen ist, das vielleicht noch analysiert wird.

Diese einseitige technische Wissenschaftsperspektive verursacht aber auch gleichzeitig die gröbste Vernachlässigung im künstlerischen Erfahrungsbereich, wo die seelische Bandbreite gefragt wird, einen Klang in sich aufzunehmen und dieses Verständnis weiterzugeben. Der ganze Zauber den Orgel darstellen kann und muß, der in feinsten, nahezu unhörbaren Klängen, in filigranen Mechanikelementen zu finden ist, der in den Windladenformen sich zeigt und in der Architektur, die mit dem Klang wiederum zu harmonieren hat, all das und mehr fassen wir grundsätzlich mit anderen Organen als der Vernunft. (vor allem aber, und das ist für Psychologen gesprochen, ist die seelische Konstruktion eine andere als diejenige auf intellektueller Basis. Das Eine ist Apoll, das andere Dionys, oder anders gesagt, Traum und Bewußtsein müssen ineinander greifen, um Harmonie zu schaffen)

Wenn ich in Schottland mein Ohr an eine Echo-Gamba und eine Vox coelestis legen darf aus 1899 und höre, dann wird mir klar, dass unser Orgelbau der vergangenen 50 Jahre ein Irrtum war. Denn diese Gambe singt es mir unvermittelt und in einer stillen Traurigkeit ins Ohr.

Und wenn ich mich an all die Gamben, Dolcen, Aeolinen aus neueren Orgeln erinnere, dann sind das „fliegende Ungeheuer“, die wie in Goyas Zeichnung, als Eulen aus dem Hintergrund davon flattern und böse gurren, aber nichts in Sachen Orgelklang- und Geschichte zu sagen haben.

Im Schatten des Kolosses regiert die Angst, und Angst gebiert Ungeheuer und keine Gamben.

gerhard@walcker.com

violdiGamb

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