Warum Romantik notwendig ist

Gedanken eines deutschen Orgelbauers an einer deutschen Orgel in Schottland.

Zwei Worte zur Einleitung:

Vielleicht gibt es einmal eine neue Form der gesellschaftlichen Erwärmung, eine Art „existentielle Romantik“.

Die „Vernunft“ marschierte während des Mittelalters aus der Kirche hinaus, weil Gott in dieser Welt nicht vernünftig sein kann (Theodizee). Sie widmete sich von nun an nur noch urbanen Dingen und wird zur Wissenschaft, was Nietzsche kommentiert mit den Worten: „Wissenschaft blüht dort, wo es keine guten Götter gibt.“

und nun der Text:

Diese Wissenschaften beschäftigen sich nur mit den Dingen, die sie mit ihren Methoden (Mathematik und Experiment) fassen können, also mit einem sehr geringen Teil der menschlichen Lebenswelt. Denn diese besteht neben Gefühl, Musik, Schönheit, Landschaft, Traum, in nur geringem Umfang aus Messen und Wägen mathematischer Abstraktionen. (Banker und Aktionäre ausgeschlossen – und dass Wissenschaft in diese Bereiche „Messen und Wägen“ hineininterpretiert, ist verständlich. Nur so kann sie partizipieren von Dingen, die ihr nicht zugänglich sind).

Das Gespensterreich von Gefühlen und Affektionen, dem Wissenschaft zwar Etikettierungen zu verpassen vermag, aber die lebendige, quirlige Bewegung und ihr Aufbäumen im menschlichen Geist, nicht in ihre Listen und Tabellen einzupressen in der Lage ist, hatte ihre finale große kulturelle Form in der Deutschen Romantik gefunden, die wir gerne als eine Gegenbewegung zur anstehenden Rationalisierung menschlicher Lebensformen sehen wollen.
Auch die musikalische Romantik war Ausdruck eines tief empfundenen Schmerzes im Anblick jenes Kolosses, der mit Vernunft nun die Menschenwelt reglementieren wollte. (Wir stehen momentan mittendrin in diesem Koloss und müssen uns eigentlich nur fragen, ob wir noch alle Sinne beisammen haben, um das zu erkennen und Handlungsspielraum zu haben).

Der letzte große Komponist dieser musikalischen Romantik war Max Reger, der sich im Anblick des Demiurgen, der eben nur mit einem Auge die Welt sieht, beinahe zu Tode soff und seelisch (1903) zu explodieren trachtete. (Den populistischen, französischen Kram, der die Tiefe von einer Trottoirpfütze kaum erreicht, bezeichnen wir einfach nicht als romantisch. Basta! Ausnahme: Olivier Messiaen).

Nun, die Romantik hat nur erreicht, dass sie in einer karikierten, pinkfarbenen Form, mitten im Herzen des Kolosses wiedergeboren wurde. Sie kann ihr Lebenselixier, das Genie, nicht in Gesellschaften entwickeln, die Gleichheit predigen. Sie kann nicht einmal mehr artikulieren, dass die dunkle Landschaft einer Bankenbilanz vorzuziehen ist, weil sich die ganze Gesellschaft in Gefahr sieht, am fehlenden Geld zu scheitern. Und natürlich ist klar, dass eine seit 3-4 Generationen an reiner Naturwissenschaft ausgebildete Jugend, ohne Bezug zur Antike und Musik, nur einförmig ins Land hinaussieht und damit keinen Überblick mehr zu den blauen Bergen hat.
Orgeln, die im Schatten von Wissenschaft gebaut werden, die Zählen und Wägen in den Mittelpunkt stellen, können nicht klingen. (das was ihr als Klang bezeichnet, nenne ich noch nicht einmal Geschrei, hat aber die gemeinsame Kategorie, laut sein.)

Fraunhofertabellierte Orgelmensuren sind die grandioseste Verulkung von Orgelgestaltung, die ich kenne und die unmittelbar mit „Malen nach Zahlen“ oder Kompositionen auf dem iPad gleichzusetzen sind. Die ingenieurhafte Durchgestaltung eines Musikinstrumentes wie der „Heiligen Maschine“ Orgel verursacht die einseitige Anhebung von technischen Qualitätsmerkmalen, begründet auch damit, dass Einfaltspinsel von Orgelsachverständigen das Ergebnis messen und zählen können, und das können sie endlich auch mit iphone Stimmgerät und schönen Abhaklisten. Der Technoidiot steigt aufs Podest des Siegers, zu Füssen liegt der Sänger, dessen Lied verklungen ist, das vielleicht noch analysiert wird.

Diese einseitige technische Wissenschaftsperspektive verursacht aber auch gleichzeitig die gröbste Vernachlässigung im künstlerischen Erfahrungsbereich, wo die seelische Bandbreite gefragt wird, einen Klang in sich aufzunehmen und dieses Verständnis weiterzugeben. Der ganze Zauber den Orgel darstellen kann und muß, der in feinsten, nahezu unhörbaren Klängen, in filigranen Mechanikelementen zu finden ist, der in den Windladenformen sich zeigt und in der Architektur, die mit dem Klang wiederum zu harmonieren hat, all das und mehr fassen wir grundsätzlich mit anderen Organen als der Vernunft. (vor allem aber, und das ist für Psychologen gesprochen, ist die seelische Konstruktion eine andere als diejenige auf intellektueller Basis. Das Eine ist Apoll, das andere Dionys, oder anders gesagt, Traum und Bewußtsein müssen ineinander greifen, um Harmonie zu schaffen)

Wenn ich in Schottland mein Ohr an eine Echo-Gamba und eine Vox coelestis legen darf aus 1899 und höre, dann wird mir klar, dass unser Orgelbau der vergangenen 50 Jahre ein Irrtum war. Denn diese Gambe singt es mir unvermittelt und in einer stillen Traurigkeit ins Ohr.

Und wenn ich mich an all die Gamben, Dolcen, Aeolinen aus neueren Orgeln erinnere, dann sind das „fliegende Ungeheuer“, die wie in Goyas Zeichnung, als Eulen aus dem Hintergrund davon flattern und böse gurren, aber nichts in Sachen Orgelklang- und Geschichte zu sagen haben.

Im Schatten des Kolosses regiert die Angst, und Angst gebiert Ungeheuer und keine Gamben.

gerhard@walcker.com

violdiGamb

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