Vom Leiden zur Bejahung

Ostern eben, – Metamorphose.
Als er vor einem viertel Jahrhundert die Lieblingsdrogen Alkohol und Nikotin gegen zwei andere eintauschte, Koffein und Sauerstoff, begleitete ihn seither ein Schatten, der oft unverhüllt als ein nietzscheanischer Sisyphos erschien.
Nur ständige Beanspruchung, der Wille seinen Platz in der Welt zu finden, das scheinbare »Leiden«, das ja ohnehin nur als verweichlichtes Eigen-Mitleid ins Gemüt schleicht, zu zähmen, wurden zu erklärtem Ziel.
Der Sauerstoff war Symbol und Mittel in die Natur aufzugehen geworden.
Nicht das H2O der Hospitäler und Halbtotanstalten, sondern der Stoff, den Wald und Wiesen ihm bieten, wenn er seinen Berg hinaufsteigt. Oben angelangt ruft ihm Albert Camus zu: »Sisyphos, Du musst glücklich sein!«, gepaart mit Nietzsches Stimme aus Sils Maria.
Jahrhundertelang haben uns die »Geistlichen« zugeflüstert, Natur und der menschliche Körper seien »schuldbehaftet«.
Man hat uns die Sünde von morgens bis abends um die Ohren geschlagen, bis wir das Natürlichste der Welt, den normalen Sexualakt zwischen Mann und Frau, als große Schuld wie einen Mühlstein mit uns herumschleppten.
Es kam »Die Krankheit zum Tode« von Kierkegaard, es erschien »Jenseits von Gut und Böse« von Nietzsche. »Schuld« und »Sünde« wurden in anderen geistigen Dimensionen diskutiert.
Heute tritt uns nicht mehr der »Geistliche« als lebensverneinend in die Quere, er hat sich eher ins Populäre geoutet, sondern Politiker, Sportler, Schauspieler.
Die haben sich zwar auch popularisiert, aber sie erheben keinerlei Ansprüche.
Sie fordern im Gegenteil von ihren Fans differenzierte Tugenden, nur Klugheit, Verstand, Scharfsinn und eine natürliche Moral für gut und bös ist unerwünscht.
Sie verunstalten die freie Sicht auf den Menschen von heute.
Wenn heutiges Bürgertum seine unermessliche Freizeit damit totschlägt, sich um »Futball« zu kümmern, ein Wort, das Verfechter jenes Futball mit glänzenden Augen aussprechen, und man glaubt, endlich haben diese Menschen ein Ideal gefunden.
Wird man rasch belehrt, dass die hell aufleuchtenden Bierdosendeckelaugen das Betrachten und emotionale Miterleben des Spieles meinen und nicht irgendwelche sportliche Aktivitäten. Denn keine zehn Minuten würden die meisten jener Bierbäuche überleben. Damit wird der Sportler zu einer zwielichtigen Gestalt, die ablenkt von der Hinwendung zur Selbstwerdung.
Beim Schauspieler wird die Situation noch drastischer. Menschen, die primär Schattenfiguren anderer Personen darstellen, die selbst kaum »Eigenes« offenbaren dürfen in ihrem Beruf. Wenn solche seelischen Halblinge in die vorderste Reihe der Idole marschieren, dann stimmt irgendetwas nicht mit dem Zuschauer. Ave, Cäsar Alzheimer, morituri te salutant.
Ausdrücklich meine ich nicht, die schwachsinnigen Filme in ARD und ZDF, wie »Tatort« oder noch schlimmer, die Diskussionsveranstaltungen, wo die schauspielerischen Eigenschaften von Politikern oder einschlägigen Mitschwätzern zur Schau gestellt und dem emotional angeschossenem Zuschauer zur Bewertung gereicht werden.
Sondern, die Masse an Schauspiel, welche der durchschnittliche TV-Glotzer in sich aufnimmt, generiert in dieser Person einen Persönlichkeitsverfall, indem er zu schauspielern anfängt. In jedem Moment, wo eine Kamera aufleuchtet, beginnt er nun, wie seine Vorbildern in ähnlichen Begriffen und Masken zu agieren. Entsetzlich! Man findet nicht mehr den Menschen, sondern nur noch Kopien irgendwelcher Schauspieler. Und die Komödianten tragen ja selbst in sich hunderte Seelen oder Rollen, nur keine eigene echte Charakteristik.
Die Gefahren, die vom Politiker ausgehen, Personen also, die primär das Maskenspiel von Bühnenkünstler übernommen haben und sich an gängigen Sportlerattitüden orientieren, um Beliebtheit zu pegeln, müssen wir uns nicht ausdrücklich zu Gemüte ziehen. Politikereinfluss ist dieser Tage dank der Macht der Medien begrenzt. Es stellen heute eher die Massenmedien Gefahrenpotentiale dar, die jeder für sich selbst regulieren kann.
Bleibt zu Resümieren, der einzig echte Weg, der jedem Einzelnen aufgegeben ist, ist diesen Weg zu finden, ohne die Einflüsse auf die eigene Person übermächtig werden zu lassen. Dann, wenn der nicht verschüttete Instinkt auflacht und spürt richtig zu liegen, dann wird alles gut.
gewalcker@t-online.de

Wenn keiner mehr nach dir fragt, bist du angekommen in deinem eigenen Haus.
Botho Strauss, Lichter des Toren

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