Warum es die Welt doch gibt!

Vom Menschen lernt der Mensch reden, von den Göttern schweigen.

Sloterdijks letztes Opus, „Die schrecklichen Kinder..“, konnte bei mir keine Flamme mehr entzünden, nachdem sein „geliebtes Frankreich“ schon mehr als wunderliche Skizzierungen offenbarten.
Ich habe den Eindruck, dass er hier in den „schrecklichen Kinder“ einer Art negativer Geschichtsphilosophie aufgesessen ist. Dazu kommt, dass ein Schreiber nicht in den Begriff verliebt sein darf, wie eitle Schauspieler sich in verzückten Gebärden weder profilieren noch Gefallen erwecken.
Philosophen sollten den Unsinn, die Menschenwelt deterministisch zu deuten, also „seit der Revolution gibt es das Böse und/oder die Zustände, die wir heute nicht mehr ändern können“, den naturwissenschaftlichen Abstraktionen überlassen. Es hilft uns überhaupt nichts. „Denn was ist es der Mühe wert, dasjenige Vergangene in die Erinnerung zu rufen, das nicht zu einem Gegenwärtigen werden kann.“ (Kierkegaard – Furcht und Zittern)
Selbst in einem Flammenmeer kann ich ein Leben führen, dass meine Bestimmung mir aufträgt, wenn ich auf diese Stimme zu hören in der Lage bin. Hierzu hilft mir die Existenzphilosophie von Kierkegaard über Heidegger bis Camus ganz gewaltig weiter, ohne genötigt zu sein, irgendjemanden Gottes in Frage zu stellen, aber eben selbstverantwortlich in der Welt zu stehen.
Bei so traurigen Vorgaben, wie sie die Geschichtsphilosophie bereit hält, wird mir die Verantwortung aus der Hand genommen und auf der Hintertür wird das Schicksal oder das Absolute oder eine nicht korrigierbare Abstammung wie sie bestenfalls Ödipus widerfahren ist, der Entscheidungsträger, der mir alle Verantwortung abnimmt.
Das Verdammtsein, das die Christen-Theologie von der Antike leichtfüssig übernommen hat, die Sünde, die Schuld, all diese ganze traurige Höhlenmalerei des Mittelalters, die unter Auslassung des christlichen Heilsgedankens nun in unserer weitgehend agnostischen Gesellschaft übernommen wurde, wobei die Schuld und die Sünde heute vor allem im Vergehen gegen wirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund gerückt wurden, und somit aller christlichen Ethik beraubt in einem kuriosen Rahmen ihre Wirkungen entfaltet. Immer noch als Moral dahertappt, obwohl Moral einen Gott braucht oder wenigstens einen Apostel.
Wer die Gesellschaft wirtschaftlich schädigt ist nun Sünder par excellence (Hönes) , während ich protestiere und sage, es gibt überhaupt keine Sünde und Schuld, höchstens den Bruch mit Regeln, die man akzeptieren kann oder nicht. Daran ärgerten sich die alten Juden am meisten, dass Jesus (der für sie Mensch und nicht Gott war) die Sünden vergeben wollte. Auch hier offenbart sich, dass Moral und Sünde eine Sache Gottes ist. Wenn ich daran nicht glauben kann, dann gibt es das alles schlichtweg nicht.
Aber ich bin als Existenzialist der Auffassung, dass man sich selbst Regeln setzen muss, sich mit der Gesellschaft und ihren Regeln arrangieren muss. Völlig egal, ob man daran glaubt oder nicht.
So wie man im Verkehr nur vorankommt, wenn man die Verkehrsregeln einhält. Das ist also eine ganz pragmatische Sicht der Dinge. Während ethische Regeln oder Gebote nur dann Sinn machen, wenn ich an dahinter liegende Ideen glauben kann. Wer nicht glaubt und dennoch meint ethisch zu handeln, befindet sich elementar im Irrtum.
Ohne Glaube gibt es keine Moral.
Damit komme ich zum Thema, warum es die Welt doch gibt: weil sie im Individuum Gestalt findet! Zwar in milliardenfacher Spiegelung und Brechung, aber in jedem einzelnen Menschen findet eine vollständige und abgerundete Welt statt, die mehr ist, als eine abstrakte Theorie der Naturwissenschaft, deren Aporien laufender Verwerfungen unterliegen. Während dem einzelnen Individuum seine Vorstellung von Welt, zwar ebenso im Fluss begriffen ist, aber in jedem Moment, in jedem Augenblick eine vollständige einzige Welt darstellt. Jeder trägt seine Welt, seine Zeit und seinen Raum in seinem Kopf, und das ist eine ganze vollständige Welt, angereichert mit abstrakten Vorstellungen, auch materiellen Erscheinungen, die aber einzig und allein einem Individuum zur Verfügung stehen.
Die Konstruktionen, die scheinbaren Tatsachen, der Glaube, und zwar auch der Glaube an irgendwelche Bestimmtheiten oder Wahrheiten und das Wahrnehmen von Tatsachen, all das zusammengenommen und vielleicht noch viel mehr, das ergibt das Bild, mit dem wir unsere Gestaltung der Welt vornehmen. Es gibt also nicht ein fertiges Bild der Welt, das uns irgendjemand reicht und das wir zu schlucken haben, sondern wir konstruieren unser Bild von der Welt zu erheblichen Teilen selbst.
Je mehr Wissen wir an uns heranlassen, desto mehr Spielräume öffnen wir uns. Wer nur ein Buch gelesen hat, oder aus dem ihm gepredigt wird, der kann mit relativer Zeit und Raum nichts anfangen und was viel schlimmer ist, der kann die Welten anderer nicht verstehen.
Der heutige Individualismus, der die Welt im Kopf jedes Einzelnen entstehen lässt und für gültig proklamiert, lässt nicht zu, dass Metageschichten, seien es Konstrukte wie der aus der Geschichtsphilosophie entstandene Marxismus oder die sich in zweitausend Jahren unterschiedlich entwickelten Formen des Christentums, Weltbilder darstellen, denen ganze Gesellschaften zu folgen haben. Denn es gibt diese Welt nicht, die diese Weltanschauungen in Bildform zelebrieren.
Es gibt nur die Welt im Kopf des Individuums.
gewalcker@t-online.de

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