Antisemitismus

Dort, wo man von den tatsächlichen Ursachen entstandener Probleme ablenken will, dort, wo „Schuldige“ gesucht werden müssen, weil die Verursacher der Probleme aus machttaktischen Gründen geschützt bleiben müssen, dort also wo alles andere als Vernunft und Toleranz herrschen, blüht Fremdenhass und Antisemitismus.
Wir hören selten von den großen Antisemiten wie Martin Luther oder Richard Wagner. Aber genau diese Brunnenvergifter, die im Gewande von Christentum, Kultur und Aufklärung daherkommen, machen es den labilen Kleingeistern, die sich um ihre Stammtische des „Totschlagens“ versammeln, sehr leicht, auch deren Unbeherrschtheiten kritiklos zu übernehmen.
Natürlich, Luther war zum Ausgang des Mittelalters eine andere Sprache gewohnt, als wir in heutiger Zeit, aber auf eine Aufarbeitung seiner sprachlichen Entgleisungen wartet man in den Evangelischen Kirchen vergebens. Der Finder der deutschen Sprache war in Sachen Toleranz ein grober Bauerntölpel, das auf einen Nenner zu bringen fällt uns halt heute recht schwer.
Hat man je ein Wort von der „Wagnerianerin“ Angela Merkel zur Deutung (Entschuldigung!) der aggressiven Hasstiraden gegen die damals reichhaltige Judenintelligenzia des 19JH. ihres deutschen „Meistersingers“ gehört? Ich nicht.
Worauf ich hinaus will, es ist recht einfach: Der Antisemitismus, in seinen Abarten eben Ausländerhass, ist ein psychologisches Problem einzelner Menschen, das psychotherapeutisch, wenn es sein muss „irrenanstaltsmässig“ behandelt werden muss und niemals politisch.
Wir würden im letzteren Fall einer Hybris zum Opfer fallen, zu glauben, über Diskussionen schafft man solche Problemstellungen ab.
Eine Groteske besonderer Art war die Einverleibung Friedrich Nietzsches durch die Nazis, besonders durch Hitler, der von ein paar Schlagworten des Philosophen nicht viel mitbekommen hat. Denn Nietzsche war genau das Gegenteil eines Antisemiten.
Den Antisemitismus hatte Nietzsche bereits im Wagner-Kreis abstoßend gefunden. In „Jenseits von Gut und Böse“ warnt der Philosoph vor den Ressentiments gegenüber Juden. Ihnen verdanke die deutsche Kultur außerordentlich viel, nichts Geringeres nämlich als die Fähigkeit, klar und konsequent zu denken. Dabei erkennt Nietzsche nicht nur ihre Leistungen, sondern auch Ihre Leiden an.
Volker Gerhardt schreibt in seinem Nietzschebuch, „Es ist eindrucksvoll, wie Nietzsche den Wunsch der Juden, endlich irgendwo fest, erlaubt, geachtet zu sein und dem Nomadenleben, dem ewigen Juden ein Ziel zu setzen, und dringend empfiehlt, diesem Zug und Drang endlich auch praktisch entgegen zukommen; dazu wäre es nützlich und billig (..) die antisemitischen Schreihälse des Landes zu verweisen.
Nietzsche äußert sich oft über die Juden und ihre Geschichte. Er zeigt dabei nicht nur die Unbefangenheit, die das 19.Jahrhundert in dieser Frage noch haben konnte, sondern urteilt auch hier in der für ihn typischen extremen Überzeichnung. In seiner Kritik der Moral legt er den Juden den «Sklavenaufstand in der Moral» zur Last; er nennt sie die «Genies» des Ressentiments, die «Erfinder des Christenthums» (was in seinen Augen das Schlimmste ist), die «besten Hasser», die Meister der Anpassungskunst und versteigt sich in einem degoutanten Vergleich zu der Behauptung, «dass Deutschland reichlich genug Juden hat» .
Im ganzen aber überwiegen die anerkennenden, um Gerechtigkeit bemühten Urteile und damit der Respekt vor einem schweren Schicksal, das mit Tapferkeit («Teufels-Mut») und Intelligenz gemeistert werde. Erst die Juden, so meint er, haben den Europäern die Strenge und unterschiedslose Geltung der Logik beigebracht (FW 348; 3, 585).
Von alledem wissen und spüren die Antisemiten nichts. Ihre Geistlosigkeit und Undankbarkeit machen sie daher in Nietzsches Augen verächtlich. Er sieht, dass sie auf infame Weise von ihrer eigenen Schwäche abzulenken suchen. In seinen späten Notizen entlarvt er den Antisemitismus als eine Ausgeburt der Rache am «esprit» des jüdischen Volkes: «Die Antisemiten vergeben es den Juden nicht, dass die Juden Geist haben – und Geld: der Antisemitismus, ein Name der Schlechtweggekommenen».
Als sich beginnende Erfolge seiner Bücher abzeichneten, meldeten sich auch erste Spähtrupps „kleiner, brauner Spießer“, die sich dadurch auszeichneten, indem sie Nietzsche vollkommen falsch verstanden. Sein Kommentar: „Dies Gesindel wagt es, den Namen Zarathustra in den Mund zu nehmen! Ekel! Ekel! Ekel!
Soviel zum Antisemitismus heute, gestern und morgen und der Aufarbeitung durch verständnisvolle Politik, die sich endlich anmaßen sollte kein Verständnis mehr für Antisemiten und Fremdenhasser aufzubringen.
gewalcker@t-online.de

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