Kairo – Aufstand gegen den Diktator

Der Verfasser war kurz vor Weihnachten 2010 in Kairo, um dort eine Orgel in der Deutschen Evangelischen Kirche zu besichtigen und darüber Restaurierungsvorschläge zu unterbreiten.
Der Aufenthalt in der „Mutter aller Städte“ sollte einige Tage beanspruchen und wurde für mich, wie auch für meinen Sohn Andreas, zu einem schönen Abenteuer, das wir nicht missen wollen.
Wir waren untergebracht in einer schönen geräumigen Wohnung eines deutschen Diplomaten auf der Nil-Halbinsel Zamalek, wo oft genug billige Taxifahrer vor dem Haus parkten, um uns in den Weiten der 20Millionen-Metropole Kairo irgendwo hinzufahren.
Was mir persönlich auf Anhieb in Kairo positiv auffiel waren die Menschen, mit ihren weichen, anschmiegsamen Charakteren und ihren sehr höflichen Umgangsformen. Nie haben wir ruppige oder abweisende Personen in Kairo angetroffen. Bei einer Taxifahrt zur Deutschen Evangelischen Kirche, bei der der Fahrer nicht wusste wie er zu dieser Kirche gelangen sollte, haben wir mit über 10 Personen Kontakt bekommen, die uns alle aus tiefster Verbundenheit beraten haben. Es wurde auf den Straßen debattiert, Pläne gemalt, Fotos verglichen, Verwandte, Pfarrer und Freunde befragt. Wir fuhren zwei Stunden kreuz und quer durch Kairo, und haben sicher die Kirche mehrmals gestreift. Konnten uns in Französisch, Deutsch und Zeichensprache verständigen. Am Ende aber kamen wir natürlich viel zu spät, haben aber schöne Einblicke in die arabische Seele der Ägypter nehmen dürfen, die uns großartig beeindruckt hat. Die Freundlichkeit dieser Menschen kann man kaum in solchen Maßen in anderen Ländern antreffen.
Auffällig natürlich in Kairo an jeder Ecke, in jeder Straße, die extreme Armut die weit über die Hälfte aller Bewohner der Stadt wie ein Pestgeschwür umklammert. Die restlichen 50 % würde ich immer noch als sehr arm nach unseren sozialen Vorstellungen nennen. Wenn es hoch kommt, gibt es in dieser Stadt keine 20.000 Leute, die wirklich angemessen und bedürfnisfrei leben können.
Das Wasser der Stadt ist stark mit Chlor versetzt, Müllabfuhr gibt es nicht, das Verkehrschaos und der Gestank der uralten Kisten sorgt für entsprechende Luft. Der Nil wird als Müllabfuhrkanal benutzt, wer dort eine Fahrt antritt, wird mit schwimmenden Plastiksäcken konfrontiert und schlimmer noch, an den Ufern mit der bitteren Armut, die das Land und besonders die Stadt Kairo im Würgegriff hat.
Der Ekel vor dieser unmenschlichen Lebensform hat mich bis heute nicht mehr verlassen und um so mehr habe ich es begrüßt, dass die Leute gegen diese Militärdiktatur endlich bereit ist aufzustehen, um diese korrupten Banditen aus dem Land zu jagen.
Wie traurig war es, als in Tunesien bei den Massenprotesten gegen ihren verbrecherischen Präsidenten, keine einzige Stimme in Europa oder Amerika sich erhob, um diesen armen Wichten Solidarität zu bekunden. Wie traurig wieder ist es heute, zu sehen, dass diesen geschändeten Menschen in Ägypten wieder keine Unterstützung vom Westen beikommt, weil man dort die wirtschaftlichen und militärischen Gesichtspunkte vor die humanitären gesetzt hat. Damit bricht das ganze blasse Gerede von Demokratie und Humanität, was ja die Zwecke sind, denn das Militär soll ja Mittel zum Zweck sein, wie eine schaurige Lüge in sich zusammen.
Ich muss an die Menschen denken, die mit 30-50 Euro im Monat in Kairo leben, ohne frisches Wasser, ohne Hartz4, ohne Rechtsanspruch vor Gerichten, die beispielhaft in ihrer Bescheidenheit und Höflichkeit sind und die viel zu stolz wären, um meine Kategorien der Armut gelten zu lassen, die so direkt uns als Ideale vorangestellt werden können, die so große Hoffnungen in Europa und in die USA haben, und nun sehen müssen, dass dieser Mubarak, der sie verprügeln und erschießen lässt, mehr Unterstützung durch diese Staatenbünde erhält als sie selbst. Das bedrückt.

Wir dürfen uns deswegen am Ende nicht wundern, wenn Ägypten sich vom Diktator befreit und danach eher in die Arme des radikalen Islam fällt, als dem Westen zu trauen. Wir Deutschen sind hier in der Pflicht. In unserem Land hat es die radikalste Militärdiktatur gegeben, die man sich vorstellen kann. Wir sind bereit dieses grauenhafte Kapitel der Deutschen Geschichte aufzuarbeiten, aber dabei dürfen wir nicht diese Erfahrungen an der Gegenwart vorbeiziehen lassen, als sei Geschichtsaufarbeitung Selbstzweck. (gewalcker@t-online.de)

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