Kairo, Pyramiden und Götter

Wer die fünfundzwanzig Kilometer von Kairo entfernten Pyramiden sehen will, muss über die Styx der nebelschwarzen Autobahn, wohin ihn Charon im Taxi überführt, und was dem so Überführten Lunge und Nase zudrückt. Auf Letztere komme ich gleich zurück.
Dann wird er sehen, dass der Schleim ums Areal der Heiligtümer so stark angewachsen ist, dass er das „Heilige“ nicht mehr erahnen kann. Touristen, Wasserverkäufer, stinkende Kamele und am Touristen gesättigte Araber verübeln jeden Ausblick, jenes Geheimnis der Pyramiden wahrnehmen zu können. Als ob die Pharaonen solche Grauzone vor ihren Grabstätten mit Absicht hätten anwachsen lassen. Eine Technik, wie sie Nietzsche bei seinen Schriften angewandt hat, indem er platte Wahrheiten um seine Aphorismen gestreut hat, um den Flachköpfen etwas an die Hand zu geben, das ihre von Facebook&Co plattgewalzte Seele mit Stolz und Wissen füllt, während die schön versteckten, geheimen Wahrheiten nur den Eingeweihten zugänglich sind. Gründe warum man Nietzsche und die Pharaonen lieben muss: sie bewahren uns vor der sogenannten „nüchternen“ Realität.
Mit Entsetzen habe ich die Sphinx betrachtet, das größte abbildnerische Monument der Menschheit, weil man ihre Nase abgeschlagen hat. Schon im ägyptischen Museum in Kairo ist mir sofort aufgefallen, dass allen Standbildern die Nasen abgeschlagen wurden. Ich vermutete irgend ein religiöses Ereignis in den 1000-2000 Jahren vor der Zeitrechnung, bei dem Religionsansichten gewechselt hatten und die alten Götter entrechtet wurden. Nicht ganz falsch war diese Ansicht, aber ich wurde eines viel durchsichtigeren Argumentes belehrt, nachdem ich einen Kulturbeitrag gerade über die Sphinx auf irgendeinem TV-Kanal betrachtet hatte. Der Sphinx wurde dieser riesige Felsen, der ihre Nase darstellte, ziemlich genau ums Jahr 1450 abgehauen, weil die damalige Bevölkerung immer wieder zu den pharaonitischen Göttern gebetet hatte, wo doch seit etwa 700 n.Chr. Die Araber ins Land kamen, die Ägypter vertrieben und nun Mohammeds Islam einzig gültige Religion im Lande war. Erstaunlich, dass die Islamisten die Nase jener Götter für so elementar wichtig hielten.
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Ein Zeichen dafür, dass diese Religion der Pharaonen richtiggehend lebendig war. Man gehe nur einmal in solch einem Januarmorgen hinaus aufs Feld, lasse dort die Sonne auf die Ackerschollen scheinen und ziehe diesen Geruch durch die Nase ein, wenn man Glück hat und ein Brombeerstrauch ist in der Nähe, wird man um so mehr vom Leben verstehen, das nur durch die Nase gewittert werden kann. Und man sehe sich das Bild an in dem Osiris dem Pharao das Ankh (das altägyptische Kreuzsymbol bei dem der obere Balken wie ein Mund geöffnet ist) an die Nase hält.
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Prozession der ewigen Wiedergeburt. Das Ankh übrigens ging als Kreuz in bei den koptischen Christen ein. Schließlich sind Joseph und Maria nach Ägypten geflohen, vor ihren Schächern. Die Kopten fühlen sich als alte Ägypter in der Nachfolge der Pharaonen: das sind die Auseinandersetzungen zwischen Arabern und „Kopten-Christen“. Mit Christenverfolgung hat dies absolut nichts zu tun, das sind eher vatikanische oder mediale Interpretationen unserer Informationsgesellschaft, die nicht in der Lage sein wollen, etwas tiefer zu sehen.
Aber, um bei Ankh und der Nase zu bleiben, der Hinweis, wie auffällig es ist, dass die altägyptische Kultur praktisch 3000 Jahre an dieser einfachen Symbolik stehen geblieben ist. Die Vielzahl an bildlichen Darstellungen und Hieroglyphen auf allen Gräbern und Statuen, die ich betrachten konnte, hat mir den Eindruck gegeben, dass vermehrt mit Sinneindrücken von Nase und Tasten die Natur betrachtete und weniger als heute mit Augen und Ohren. Der Tastsinn kam etwas später, weil die Hieroglyphen etwa ab 2000 vor der Zeitrechnung mit den Fingern gelesen werden konnten, also plastisch dargestellt wurden und nicht nur gemalt waren. Diese Mehrdimensionalität hat vielleicht noch weitere Informationen für den Lesenden bereit gestellt.
In jedem Falle wird man auf diese zerschlagenen Nasen im ägyptischen Museum keine richtige Antwort erhalten, weil die Leute ja dann sagen müssten, dass ihre Vorfahren solche Missetaten vollbracht haben.
Wir hingegen, in unseren Landen, wissen nur zu gut, welche Brutalitäten unsere Vorfahren aufgebracht haben um Ungläubige und Hexen in gemeinster Weise zu foltern und zu morden, weswegen wir in Mitteleuropa durch die Aufklärung ein gebrochenes Verhältnis zu Religion entwickeln konnten. Wir glauben nicht mehr alles. Und wenn wir glauben, so ist es so, als ob wir wie ein König unserem Untertanen erlauben eine Religionsform auszuüben. Sehen sehr kritisch und peinlich genau zu, was er dann tut.
Die Ursprünglichkeit hingegen in Kairo erfährt man sofort, wenn man einem Taxifahrer den Stadtplan reicht und sagt, hier und dort will ich hin. Er glotzt einen nur dämlich an, weil er nämlich den Plan überhaupt nicht versteht und lesen kann er sowieso nicht. Basta!
Von den Pyramiden zum heutigen Zustand in Ägypten kann man wahrlich keinen „Fortschritt“ erkennen, also scheint doch Darwins Evolutionstheorie und der ganze moderne Glaube an Weiterentwicklung ein derbes Missverständnis zu sein.
gewalcker@t-online.de

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