Precht „Erkenne die Welt“

Meinem Leib- und Magenphilosophen Friedrich Nietzsche würde sich in der Tat der Magen umdrehen, hätte er das zweifelhafte Vergnügen gehabt dieses wundersame Buch des Dauerschreibers Richard David Precht mit dem anspruchsvollen Titel „Erkenne die Welt“ in die Finger bekommen. Gelesen hätte er das an Fakten aufgeblühte und im Keime total erstickte Werk mit Sicherheit nicht.
In Jenseits von Gut und Böse, Aphorismus 30, schreibt Nietzsche (…) Allerwelts-Bücher sind immer übelriechende Bücher: der Kleine-Leute-Geruch klebt daran. Wo das Volk isst und trinkt, selbst wo es verehrt, da pflegt es zu stinken. Man soll nicht in Kirchen gehn, wenn man reine Luft athmen will.-
Dennis Scheck hat mich mit seinen Ausführungen verführt, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Sein Spiegel-Bestseller-Check, der hin- und wieder ins Schwarze getroffen hat, gab irritierenderweise kund: „dieses Buch hätte ich als fünfzehnjähriger Knabe haben und lesen sollen.“
Keine Frage hingegen ist, dass dieses Buch bereits im Kindergarten vorgelesen werden kann.
Den Kids könnte während dem Einschlabbern der Mittagssuppe jener Faktenbrei akustisch miteingeführt werden und in anschließenden Diskussionsrunden wären schon erste geistige Verdauungstätigkeiten in Form einer gründlichen Diarrhoe zu bewältigen. Denn „Precht“ muss man kräftig fahren lassen.
Ein Buch also, das alles andere als Philosophie vermittelt.
Was dieses Buch bestens beibringt ist die Einbildung nun etwas von Philosophie mitbekommen zu haben. Wie überhaupt alles, was dieses zweifelhafte Schwatzen von Herrn Precht in all seinen Büchern mit sich führt: es ist ein zusammengeglaubtes Sammelsurium an Fakten, die er überhaupt nicht bereit ist zu durchdenken, zu durcharbeiten, weil er genau hier restlos versagt.
Es ist ja einfacher aus einem Stapel Sekundärliteratur sich schönes und gängiges Farbrauschen zusammenzuschreiben, so wie ein Grundschüler die Wasserfarben erstmal alle durcheinander mischt, bis nur noch grau und schwarz auf dem weißen Blatt erkennbar sind.
In diesem ersten Band „Erkenne die Welt“, und ich versichere keinen weiteren Band mehr von diesem belanglosem Gemüsebrei an mich rankommen zu lassen, redet der Verfasser davon die abendländische Philosophie von der Antike bis zur Renaissance beschreiben und dabei die jeweiligen historischen Erscheinungen zu Wort kommen lassen zu wollen.
Die Maßlosigkeit, mit der Herr Precht an die Antike herantappt, hätte nicht schlimmer sein können. Es schmerzt, wie plump und dumm er an antiken Philosophen herumfingert, die seit 2500 Jahren bei allen nachfolgenden Philosophen in höchster Anerkennung standen.
Zunächst ist es ihm elementar wichtig an der Oberfläche zu bleiben und keinesfalls Tiefgang zu zeigen. So also beginnt das Buch mit dem Bild des Raffael „die Schule von Athen“. Bereits hier verliert Precht kein einziges Wort über die mannigfaltige Esoterik, die in diesem Bild versteckt sind, dafür findet man Sätze wie: „Rafael malt ein gleichsam alltägliches Philosophengewusel (…)“. Natürlich, muss man sagen, denn die Welt des Herrn Precht ist Alltag und die Unübersichtlichkeit in Sachen Philosophie findet er in allem, was mit Philosophie zu tun hat. Jeder interpretiert seine Welt eben hinein in das Ding vor seiner Nase.
Ich erspare uns die Widersprüchlichkeiten, mit der Precht den Philosophen Thales behandelt. Es gibt hier fantastische Literatur, die tatsächlich richtiggehende Philosophie darstellt, wie Hans Blumenberg „Das Lachen der Thrakerin“. Hier wird uns Thales nahegebracht und mit Philosophie verwoben; Interpretation einesteils, abstraktes Denken, Alltag, Ironie, die Stellung des Menschen im All.
Geradezu lächerlich die Behauptung Prechts, Platon hätte Thales als Tölpel und Trottel dargestellt – etwas, das Precht sehr schnell passieren wird, wenn wieder einmal die Zeit für Philosophie gekommen sein wird.
In dem Moment, wenn Precht meint, die Person, den Philosophen, umfassend ausgeschöpft zu haben, blendet er Zeitgeschichte ein. Oder besser gesagt, seine Interpretation der Zeitgeschichte. Und diese Interpretationen, sei es die Geschichte der alten Griechen oder sein Blick in den Kosmos, oder schlimmer noch die religiösen Verhältnisse zur Zeit der griechischen Antike, plätschern in einer solchen Belanglosigkeit daher, dass man weder den Geschmack dieser Zeit auf die Zunge bekommt noch die Menschen dieser Zeiten überhaupt verstehen kann. Precht gibt sich nicht die geringste Mühe, seiner Perspektive des 20. oder 21. Jahrhunderts einen noch so kleinen Schubser zu geben, um die längst vergangenen Zeiten zu verstehen. Selten gelingt es ihm Wandel oder Paradigmenwechsel wie zum Beispiel vom Mythos zum Logos im 7.JH vor Christus gründlich darzulegen. Dort wo Fakten und heutige Zeit aufleuchten, wie beim Auftauchen der ersten Geldstücke um 650 v. Chr., da wacht er auf und da funktioniert sein Beschreiben in der ganzen postmodernen Beliebigkeit, in der er gut geschult ist.
Peinlich sind seine Analysen Phytagoras und besonders Heraklit betreffend.
Die Phytagoräische Harmonielehre, welche bis ins 19.JH, ja sogar bis auf Hans Henny Jahnn Einflüsse ausgeübt hat, erwürgt Precht mit dem dümmsten Satz des Buches: „Wie es heute Lichtverschmutzung gibt, so produzieren die kosmischen Klänge eine Art Klangverschmutzung“. Oder er sagt eine gänzlich totale Banalität im philosophischem Bierernst: „Doch wenn Phytagoras über Töne redet, so geht es ihm nicht um die Akustik selbst. Er nimmt an, dass Götter und Menschen, Himmel und Erde eine universale Freundschaft hätten, verbunden in einer universalen Ordnung- dem Kosmos!“ Heilige Einfalt, wie kann man solch eine verbrämte Logik in einem Buch unterbringen, das vorgibt sich mit Philosophie zu befassen.
Den größten Brocken aber liefert Precht mit seiner Darstellung des Heraklit. Nie zuvor in meinem Leben habe ich solch eine peinliche Unverschämtheit über einen Philosophen lesen müssen, der von der Romantik bis zu Heidegger tiefstens verehrt wurde. Nicht etwa, weil Heraklit glatte und klare Denkansichten mitgeteilt hat, sondern gerade weil er mit verschlüsselten Sätzen zum Denken angeregt hat, was natürlich Leute vom Schlage Prechts zurücklässt in völliger Unverstandenheit. Diese Leute wollen Verkehrsregeln, an die sie sich zu halten haben und keine Anregungen zum Denken.
„Mit Heraklit halten das Gezänk und die Misanthropie in die Philosophie Einzug“, so Precht. Im darauf folgenden Nebensatz: „aber auch eine bedeutende Erweiterung und Erhöhung des Logos“ lässt den Schluss zu, dass hier (wie auch in anderen Behauptungen) elementare Hirnspaltung des Verfassers vorzuliegen scheint.
Precht vergleicht nun im weiteren Phytagoras mit Heraklit und stellt fest: „Heraklit strebt nicht nach Wohlfühlharmonie (wie Phytagoras, gwm) , das fällt bei Heraklit unter den Verdacht des Gutmenschentums.“ Ich hoffe, Sie haben bemerkt, worauf ich hinaus will. Eine Szenario in der Philosophiegeschichte beschreiben zu wollen, das 2500 Jahre entfernt ist, mit Begriffen, die wir gerade mal 10 oder 20 Jahre kennen, das kann nicht gut gehen.
Eine Groteske allerdings ist, ein ganz elementares Stück Philosophiegeschichte wie die Dialektik ins Aus treten zu wollen, gelingt Precht mit folgendem Satz: „Heraklit behauptet, dass alles, was ist, zugleich durch sein Gegenteil bedingt ist und es als solches in sich trägt; ein folgenschwerer Gedanke, der (mit einem Wort Platons) als dialektisches Denken in die Philosophiegeschichte eingehen wird und dort vor einer großen Karriere steht.“ Und nun, zwei Sätze weiter, offensichtlich ist zwischen dem vorigen und dem nachfolgenden Satz ein Bierkegelabend in Köln gewesen: „Wenn die Welt ihrer Natur nach dialektisch sein soll, dann wundert es nicht, dass Heraklits Sprachstil so dunkel ist.“ Hat man je etwas Verrückteres gelesen als diese Worte Prechts?
Ich könnte beliebig weitermachen in der Dekonstruktion dieses unglücklichen und vor allem unnötigen Buches, das hoffentlich wenig Leser findet. Denn es gibt so viele gute und nachdenkenswerte Bücher, die sich mit all diesen Themen beschäftigt haben, die nie solch freche und frivole Oberflächendarstellung zutage gebracht haben.
Herr Precht, es gibt so viele Möglichkeiten, wie sie sich weiterentwickeln können: Kochbücher, Harry Potter, die Tatort-Serie könnte von ihnen und ihrem Schlapper-Schreibstil enorm profitieren, sogar einige peinliche Philosophiezitate könnten Sie Boerne unterlegen, wenn er vor Thiel aufglänzen muss. Aber lassen sie endlich die Finger von der Philosophie. Oder gehen Sie in die Politik, da werden solche Schauspieler, die auf klug machen, gesucht.

gewalcker@t-online.de

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