(aus einer Restaurierungsarbeit in Costa Rica)
Hier eine Opera hinzaubern, wie man sie sich vorstellt. Das ist der Clou.
Die Substanz dazu: eine Orgel, die gerade mal 8 Jahre nach meiner Geburt hier eingebaut wurde. Also zu einem Zeitpunkt, wo wir als Kinder im großen Montagesaal in Ludwigsburg alle möglichen Giganten, die von hier aus in die Welt entlassen wurden, argwöhnisch beäugten.
Die Beliebigkeit und Langweiligkeit der alten Welt kann man in Costa Rica hinter sich lassen, wie eine allzureife Mangofrucht, die schon zu faulen beginnt. Neue Impulse lassen sich verwerten, und wer wandlungswillig in diesen neuen Fluss eintaucht, er wird der Begeisterungsfähigkeit dieses kleinen Völkchens, das oft vom Kirchplatz mit den Knien zum Altar rutscht, um Vergebung bettelnd, mehr scherzend als in irgend einem tiefen Glauben verharrend, sich vergewissern können. Noch hat jeder Narr hier seine Fangemeinde gefunden. Und sei es, dass er heiliges Wasser gegen die Unruhe der brodelnden Berge gesprengt hat, das sie verstummen ließ.
Orgelklänge in diesem Lande kreieren und wie einen Dreizack gegen den tumben Aberglauben der Heiden werfen, einem katholischen Kierkegaard gleich, das ist der Traum. Sehen wir, wie es vonstatten gehen wird. Momentan sind wir noch tief im Materialismus der Orgel eingetaucht, von Form oder Idee noch keine Spur.
Zunächst werden die Problem-Megalithen aufgelöst, gesprengt, was 3 Wochen Arbeitszeit erfordert. Dann feuern wir dem Regengott Chaac ein Opferfest, indem unsere Binden und Fesseln nach Europa aufgebahrt, gen Himmel empordampfen. Aber da machen sich bereits erste Schwierigkeiten auf.
Als im 12.Jahrhundert die Orgel in die mittelalterlichen Kathedralen einzog, geschah etwas Unerhörtes: die Ritter, Mönche, Bauern, Bürger, kamen wie gewohnt zur sonntäglichen Messe und sie hörten plötzlich den stehenden Ton der Orgel. Gegen den gewohnten Minnegesang und Gregorianischen Choral gesetzt, das Auf und Ab der menschlichen Brust, der Natur schlechthin, wurde durch die unendliche Bewegung des unbewegten Bewegers gesetzt. Gottes Stimme war leibhaftig in der Kathedrale anwesend. Es versetzte dem mittelalterlichen Volk panischen Schrecken. Dieses grandiose Symbol umging eine Falle, die spätestens in der Reformation wieder aufschnappte: das Bilderverbot.
Die „ontologische Differenz“ (Differenz zwischen Mensch und Gott) fand statt, indem der Mensch in seiner Kurzatmigkeit den Dauerton der Orgel ins unmittelbare Jenseits einzuordnen versuchte. Der Mensch hatte zu diesem Zeitpunkt die größtmögliche Distanz zur Orgel.
Und nun wieder zu Costa Rica.
Als ich vor zwei, drei Tagen an der Catedral in Cartago vorbeiging, hörte ich den Organisten an der Orgel und über Mikro einen Schlager präludieren, in einer Art wie er bei uns etwa Anfang der 70er Jahre in der ZDF-Hitparade vorgetragen wurde. Genau dasselbe Stück spielte er fünf Jahre vorher, als wir bei letzten Besuch dort einkehrten, tatkräftig durch Mitsingen der Gemeinde gestützt.
Dies, so meine ich, ist die geringstmögliche ontologische Differenz. Das Jenseits wird verspottet, für Zwecke des Diesseits missbraucht. Geglaubt und gebetet wird, um einen Nutzen im hier und heute zu haben.
Der panische Schrecken vor Gott ist einem Schrecken vor dem Menschen und seiner Technik gewichen.
Fitzgeraldo, da dürften kaum Zweifel aufkommen, ist kein Ethiker, kein Mensch des Glaubens, er ist nichts anderes als ein Ästhet. Sein Gott allein ist die ästhetische Wahrnehmung, die feine Empfindung, das Veredeln der Realität durch Kunst.
Und dennoch, so glaube ich, kann dieser Fitzgeraldo, wie einst Johann Sebastian Bach, durch seinen unbedingten Willen, seinen Glauben an Perfektion und Stilsicherheit, durch die Verwirklichung seiner Idee, durch Herausarbeitung der „Differenz“ eine Transzendenz vermitteln, der man nur noch mit Begriffen unterlegen könnte, ob es sich um Religion oder Ästhetik handelt. Hinter den Begriffen, der gelebten Erfahrung aber, dürfte es ziemlich gleichgültig sein welchen Stempel diesen Erfahrungen aufgedrückt wird.
Denn das völlige Aufgehen in eine durch den Geist kanalisierte Empfindung ergibt tiefen Sinn.
31.Mai 2015 Cartago, Costa Rica, gewalcker@t-online.de
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