Mein Buch des Jahres war Sloterdijk’s „Du mußt dein Leben ändern“ das mich gefesselt hat und dieses Erlebnis möchte ich hier ganz ohne die Sloterdijkssche oft schwierige Terminologie wieder geben.
Es soll aber der Anspruch des Autors, den er an den Leser stellt, nicht verniedlicht oder gar aufgelöst werden , weil die in diesem Buch immer wieder farbig aufleuchtende Parole: „ändere etwas!“ den Kern seiner Philosophie ausmacht und nicht „das schöne Geschwätz“, das man so 20 Minuten vor der Tageschau und nachfolgendem „Tatort“ schnell noch durch die Nase zieht, ohne Auswirkung auf sein Tagesverhalten.
Zunächst einmal wird die abendländische Kultur reflektiert und der Autor stellt fest, diese Kultur basiert auf dem Asketen, den Künstler der sich einer eisernen Disziplin unterwirft.
Der nächste Schritt ist festzustellen, dass das Leben auf zwei grundsätzlich unterschiedlichen Dimensionen abzulaufen scheint, der Horizontalen und der Vertikalen.
Die grobe, dumme Masse wird man auf der Horizontalen finden, wo selbst minimalistische Sprünge nach links oder rechts als Ereignis gefeiert werden (facebook), während die Vertikale Vorbereitungen nötig hat, und die geschieht im Basislager, wo wir uns wieder finden beim Asketen, der sein ganzes Leben lang eisern übt, um auf der Vertikalen sein Schreiten einzurichten. Dass dabei „der Weg das Ziel ist“ und durch fleißiges Üben die Grundlagen für die „Erstürmung der Vertikalen“, sprich die geniale Tat, geschaffen werden, sollte klar sein.
Die Vertikalachse gibt der Begeisterung die Richtung des Aufstiegs bis zur Ruhe auf dem Gipfel, in der Nähe des Göttlichen.
Wir kennen vor dem Fin-de-siècle die Künstler wie Franz Liszt, Frederic Chopin oder Niccolò Paganini, die dieses Erstürmen in exemplarischer Weise vorgelebt haben, und nun stellen wir mit Sloterdijk fest, dass nach der Jahrhundertwende mit der Ankunft der Athleten eine andere Richtung eingeschlagen wird. Die Vollendung der Renaissance durch die Wiederkehr des Athleten um 1900, was die Wiederkehr des Weisen einschlliessen soll.
Als Denker von drei Dimensionen könnte man formulieren, dass die Vertikale verschiedene Tiefenebenen hat: das Offensichtliche steht im Vordergrund oder an der Oberfläche, das Tiefsinnige hinten an. Das Tiefe ist in der Oberfläche immer gegenwärtig.
Bei Sportlern, Models, gilt es anzumerken, wie vielversprechend ihre Optik auch sein mag, klopft man jedoch an, ist niemand drin.
Entscheidend aber ist, dass Sport oder Kultur ohne Ordensregeln undenkbar sind und dass über der Regel so etwas wie Religion schwebt, die ein mönchisches Verhalten einfordert.
Der Planet der Übenden, und was heißt „áskesis“ anderes als Übung, Training“, ist der Planet, auf den sich Wenige zurückziehen, die irgendwann, mit oder ohne Absicht, den Vielen als Vorbild dienen.
„Wer also den Abtsnamen angenommen hat, muß seinen Schülern mit doppelter Belehrung vorstehen; das heißt, er hat alles Gute und Heilige mehr durch Werke als durch Worte zu zeigen“.
Diese Benediktinerregel, die aus dem Mittelalter herausdeutet, zeigt uns ganz deutlich, wo es in heutigen Kirchen krankt, am Geschwätz oder nun anders ausgedrückt am Willen die Horizontale nie zu verlassen.
Die Gemütlichkeit, die Wärme des Kuhstalls und das grunzende kritiklose Zumuhen, die Bedürfnislosigkeit in geistigen Dingen, das Lau und Unverbindliche am Köcheln zu halten anstelle ins Basislager aufzubrechen, Brecher, oder Verbrecher, wie Nietzsche sagte, zu werden und die Vertikale anzuvisieren, sind Zeichen heutiger, morbider Strukturen, die solch eine neue Anthropologie, wie sie Sloterdijk als zukunftsnotwendig erarbeitet hat, als unbedingte Voraussetzung für unsere Gesellschaftsentwicklung, werden kritisch betrachtet.
Künstleraskesen erkennt man an ganz einfachen Dingen wie: Klarheit, Einfachheit, Funktionalität. Das Vorbild bildet das Leben nicht ab, es geht ihm voraus! Während, um mit Ludwig Binshammer zu reden, „die Formen mißglückten Daseins: „Verstiegenheit, Verschrobenheit, Maniriertheit“ sind.
Wer in die Atmosphäre des Göttlichen hinaufzieht, geht in die Gefahr, zum heiligen Idioten zu werden, der wie einst Ikarus vom höchsten Punkt der Vertikalen heruntergeschleudert wird.
Es kann sich dabei auch um die Leute handeln, die (Hoi polloì), die am Morgen nicht zum Gemeinsamen (Koinon) erwachen, sondern weiter in ihrer Privatwelt träumen, in ihrer Privatidiotie bleiben, als hüteten sie aparte Einsichten. Es sind dieselben, die auch in religiösen Dingen durchschlafen. Sie tun, als suchten sie den Gott, obwohl er vor ihnen steht.
Ein sehr feines, filigranes Gebilde beschwört Sloterdijk über den heraklitschen Dreiwortsatz: ethos anthróp daímon, der den Kern seiner Anthropologie darstellen könnte. In der Mitte des Satzes der Mensch (anthróp), links die Gewohnheiten (ethos), rechts die Leidenschaften (daímon).
Früher übersetzt als „des Menschen Verhalten ist sein Schicksal“ oder“ seine Eigenart ist dem Menschen sein Schicksal“, arbeitet Sloterdijk heraus, dass der Mensch prinzipiell zwischen zwei Arten der Besessenheit (daímon) eingespannt ist. Von Gewohnheiten und Trägheiten besessen, erscheint er unterbeseelt und mechanisiert zu sein, während von Leidenschaften besessen, ist er überbeseelt und manisch übersteuert. Im ersten Fall hingegen macht sich Besessenheit durch Nicht-Geist (Mechanisierung der Gewohnheiten) bemerkbar. Hierzu gab es in Platon „Phaidon“ schon die vier guten Begeisterungen: 1)Das prophetische Wahrsagen 2)die von Gott eingegebene Heilkunst 3) der von den Musen befeuerte Wahn (manía)der Dichter und 4)die von den Göttern gesendete Liebe.
Und natürlich die schlechten Begeisterungen: Zorn, Ruhmsucht, Habgier.
Mit Selbsterziehung (dezenter Selbstexorzismus) sind die Wege frei zur Gewohnheit. Gewöhnlichkeit wird mit Gewohnheit überwunden. Die Distanzierung vom Mitgebrachten ist diesen Doktrinen zufolge allein möglich, wenn der Adept sein Leben einem rigorosen Übungsregime unterwirft.
Nietzsche ist, so Sloterdijk, gegen alle Philosophen des 20.JH gesetzt, der einzige, der ein bedingungsloses Bekenntnis zum Primat der Vertikalen ablegt. Dieser Satz muss doppelt unterstrichen werden, weil er dem „Nihilisten und seinem Trotzdem…“ die nur schwer verständliche Renaissance Nietzsches in der zweiten Hälfte des 20.JH deutlich macht. Denn warum Nietzsche und alle angehängte Sekundärliteratur über ihn so begeistert aufgenommen wurde, hat noch niemand so gerade heraus begründen können. Nur noch der frühe und der späte Foucault und der heroisch gestimmte Heidegger, der dann 1933 nicht verstanden hatte, dass die nationale Revolution, mit der er das deutsche Schicksal aufbrechen wollte, nichts anderes war als ein wildgewordenes Basislager, kommen dem Gipfelstürmer Nietzsche nahe.
Nun, lasst mich weiter lesen in Sloterdijk`s „Du mußt dein Leben ändern“.
Was sonst?
gewalcker@t-online.de
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