analog versus digital

Einer Gesellschaft, die gerade die ersten drastischen Auswirkungen des Klimawandels erfährt, muss man nicht erklären, dass Technik nicht nur das Heil der Menschheit im Visier hat, sondern gleichfalls mit Nachteilen aufwartet, die oft sehr spät ihre Auswirkungen zeigen.
Aber es ist interessant zu sehen, dass die enormen ästhetischen Qualitätseinbußen, die bei der Herstellung von Kunstwerken eintreten, unter der Voraussetzung bestimmte Techniken zu verwenden, bei den Künstlern und Konsumenten kaum zum Widerspruch führen.
Wer einmal mit Künstlerölfarben gemalt hat weiß, welche Einbußen an Farbenqualität er mit Photoshop und Company erfahren wird. Man mische nur ein Zinkweiß mit Ocker und Karminrot und ziehe einen 10 cm langen Pinselstrich, den man nach Aushärtung einscannt, um ihn am Monitor genauer zu betrachten. Schnell wird man erkennen, dass die unendliche Graduierung vom Weiß zum Rot oder Ocker sich in Pixeltreppen, die farblich und in Pixelmaßen gefasst, richtiggehende Stufen auflöst.
Die ursprünglich „unendliche“ Struktur der Farb- und Helldunkelgrade wird zerstört und aufgelöst in eine mathematische Struktur.
Ähnlich verhält es sich, wenn wir Orgelklang mit Midi-Technik aufzeichnen. Der Aufnahme wird eine zeitlich exakt vordefinierte Struktur übergeworfen, der jedes freie Interpretieren und Improvisieren untergeordnet wird. Der „Menschenvortrag“ an der Orgel, den wir als Hörer mit kleinsten Abweichungen von kleiner als 1/1000 sec beim Anschlag einer Note registrieren und so Interpreten heraushören können, wird der Maschinenstruktur, egal wie tief das kleinste Zeitelelement auch sein mag, untergeordnet und egalisiert. Das „Menschliche“ wird dieser Musik ausgetrieben.
Hinzu kommt bei diesen Midi-Aufnahmen, das sie in zweifacher Hinsicht begrenzt werden. Einmal, durch das erwähnte zeitliche Raster, das diesen Aufnahmen zugrunde gelegt wird, zum Zweiten wird ja die Klangaufnahme digital durchgeführt, wobei der Klang noch zusätzlich, ähnlich der Ölfarbenmalerei in der Qualität einer fest vorgegebenen Struktur unterworfen wird, die dem originalem Klang nie entsprechen kann.
Der Irrtum in der Akustik kommt allerdings in einem ganz anderen Gewande daher als bei der Bildkunst. Hier nämlich, in der digitalen Klangerzeugung und Aufbereitung haben wir in den letzten 100 Jahren ganz enorme Verbesserungen erfahren, weswegen kaum noch einer die Hand hebt und sich dagegen äußert. Außerdem ist es ja völlig abwegig wie beim Ölbild eine akustische analoge Aufzeichnung zu präsentieren, außer unter Musikern eben in Form von Noten. Hier aber haben wir aber eine Struktur, die genau die menschliche Wiedergabe und Improvisationslust voraussetzt, während die Maschine den Menschen ausschließt.
Der digital aufgezeichnete Klang aber ist es, der mich beschäftigte. Weil einfach das Aufnahmespektrum, selbst mit größerem technischen Aufwand zu begrenzt war, um zu sagen, hier haben wir etwas von der Originalität dieser Orgel wiedergeben.
Bei der Aufzeichnung einer Concertflöte geschah es, dass weit mehr das Klappern der Kegel wiedergegeben wurde, als es in der Natur der Fall war, und der geschmeidige Baß war nur als sterbendes Hauchen und Hecheln über die Lautsprecher wahrnehmbar. Dafür aber hat der Diskant mit gläsernem Spucken seine völlige Verachtung ausgedrückt, wo wir ein quirliges Holzspiel erwarteten.
Gründe dafür, warum originaler Pfeifenklang ganz besonders unter der „digitalen Klangaufzeichnung“ leidet, liegen in der großen Dynamik der verschiedenen Pfeifenklänge und in der Unvollkommenheit der Digitaltechnik. Hinzu kommen die unterschiedlichen Standorte der Pfeifen und Windladen, sowie die verschiedenen Akustiken und Geräusche in und um die Kirchen.
Wahrscheinlich nimmt der Mensch Klang über den ganzen Körper wahr und nicht nur über das Trommelfell. Wir spüren das deutlich bei Bässen. Und hier gibt es ja die seltsame Erscheinung, dass der Mensch Grundtöne im Hirn fabriziert, wenn er nur den zweiten und dritten Teilton hört. Dieses Phänomen haben die Orgelbauer genutzt indem sie aus den billigeren Oktav-und Quintpfeifen Baßregister hergestellt haben in sehr tiefer Lage. Akustische Meßinstrumente registrieren diese konstruierten Töne nicht.
Dieses Phänomen erinnert mich an Goethes Farbenlehre, mit der er gegen Newtons physikalische Lehre polemisierte, und ich denke, dass es heute genug Physiker gibt, die wieder Goethe recht geben, weil Farben eben im menschlichen Gehirn fabriziert werden und in der Natur ohne dieses Gehirn völlig unsichtbar wären.
Das menschliche Gehirn ist es also, das grundsätzliche Wahrheiten konstruiert, und hier meine ich den an den Sinnen angehängte Verstand, der über die Täuschung durch die digitale Technik eingetrübt werden kann.
Die Digitaltechnik hilft uns große Mengen an Informationen durch das Verschachteln in Bit-Byte- und Pixelstrukturen easy zu konservieren und hin- herzuschieben. Diese Verschachtelungen sind beim genaueren Hinsehen zu grob strukturiert, um die Natur und ihre künstlerische Darstellung durch den Menschen anspruchsvoll wieder zu geben.
Kunst und Natur zu sehen und zu hören wird über digitale Filter elementar gestört.
gewalcker@t-online.de

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