Eine Insel finden inmitten eines plastikverseuchten Ozeans. Land nur noch vorstellbar in Form von Wüsten.
Hier seine Bücher aufschlagen. Vorurteilsfrei einer Sprache folgen, die mit jedem einzelnen Wort zur Deutung aufruft.
Wie bei Nietzsche ist auch Heideggers Philosophie eine Metaphysik die nach Interpreten und weiterführenden Denkern sucht. Keiner dieser Philosophen sucht Jünger oder fromme Nachbetgesellschaften.
Aus dem Tempel geflohene Götter wollen nicht mehr angebetet werden.
Es kann unerträglich werden Nietzsches "Antichrist" oder Heideggers "Schwarze Hefte" intensiv studieren zu müssen. Dennoch kann auch dieses Studium in einem größerem Zusammenhang, außerhalb der Kritik oder Dekonstruktion, wertvoll sein und neue Horizonte öffnen.
Unverständlich war für mich zunächst die Auseinandersetzung von Heidegger mit Ernst Jünger. Von Jüngers "Arbeiter" beeinflusst, schreibt Heidegger "Zu Ernst Jünger", in der Heidegger Gesamtausgabe eingegliedert, eine größere Abhandlung, mit der ich mich hier kurz auseinandersetzen möchte.
"Der Arbeiter" ist für Jünger, der dieses Buch 1932 schrieb, der Übermensch Nietzsches.
Im seinem Vorwort zu seinen Ausführungen zu Ernst Jünger sagt Heidegger etwas, das ich als großartige Anleitung zum Lesen empfunden habe. Von mir stark verkürzt klingt das etwa so:
Wenn wir zusammen in den Schriften lesen, wollen wir vermeiden ins Schulmäßige abzudriften oder gar ungebundene Unterhaltung über Öffentliches oder nur Zeitgemäßes zu schwatzen. Echtes Lesen kommt in die Nähe dessen, was nicht in den Büchern steht. Wichtiger als die Sauberkeit der Begriffe, ist, in die Erfahrung zu kommen, was da begriffen sein will. Der philosophische Begriff ist stets Inbegriff, sofern er den Denkenden einbegreift und dadurch angreift und sein Da-sein fordert. Deswegen glückt dieses Lesen nur, wenn wir aus größter Unmittelbarkeit fragen, Bedenken sagen, Antworten suchen. Im Zeitalter der rücksichtslosen öffentlichen Zurechtmachung wird uns die Einsicht schon leichter zufallen, dass Geschichte, Werk und Menschentum wesentlicher Art nur sein können aus der sich selbst nie kennenden Leidenschaft zur großen Stille des Seins.
Dieser letzte Satz ist doppelt zu unterstreichen, weil wir heute, über 70 Jahre nach dem Zusammenbruch der deutschen Infrastruktur, einer massiv gesteigerten Öffentlichkeit ausgeliefert sind. Unsere Fragen und Unsicherheiten in Sachen "Geschichte, Werk und Menschentum wesentlicher Art" werden heute durch Medien so drastisch deformiert, dass diese Rückbesinnung auf ein ursprüngliches Lesen, ein langsames Bedenken, sowie daraus resultierende Einsicht in "wesentlicher Art" kaum zu bewerkstelligen sind.
"Nihilismus und Ja-Sagen", wie passt diese Formel, die Heidegger bei Jünger zu finden glaubt, auf einen Menschen?
Dazu ist zu sagen, dass Nietzsche, der den Namen "Nihilismus" von Turgenjew bezog, unterschied zwischen dem passiven Nihilismus der Schwachen und dem aktiven des Starken.
Dem Starken ist es hundertmal wurscht, ob er sich wohl oder schlecht befindet, ihn interessiert, dass er ein Ziel hat: die große Leidenschaft, "der Wille zur Macht", zum Urgrund der Wirklichkeit. Im Unterschied zum Historismus, der von der Wirklichkeit wegsieht und alles erklärt und versteht, aber nichts anerkennt, der deshalb Nihilismus der Schwäche heißt.
Der aktive Nihilismus Nietzsches kennzeichnet die "heroische" Haltung, die "Ja" sagt zu dem, was ist – zum "Realen", zum Augenblick unserer Geschichte, ohne Rücksicht auf sich selbst. Diese Realität ist einer unausgesetzten, zergliedernden Sichtbarmachung zu unterwerfen, und, wie Heidegger weiter ausführt, widerspricht es nicht der Welt des Traumes und der Traumlandschaften. Denn so, wie die Metaphysik zum notwendigen Gegenspiel die Mystik hat, so gehört zum nihilistischen Realismus die Phantastik.
Heidegger führt nun eine These aus, die er schon mehrfach in anderen Schriften erwähnt hat:
Wenn aber in Nietzsches Metaphysik sich die abendländische Metaphysik überhaupt vollendet, und wenn die Metaphysik der Grund der abendländischen Geschichte ist, dann muss auch in der Metaphysik der Grund des schwachen und des starken Nihilismus erkannt werden.
Darin knüpft an eine weitere These, die nach zwei Weltkriegen und besonders heute nach 70 Jahren Frieden in Europa an Bedeutung gewinnt: Der heroische Realismus (der Wille zur Macht) knüpft an ein eigenartiges Verhältnis zur Verwüstung an.
Unter Verwüstung verstehen wir nicht die bloße Zerstörung des Vorhandenen, sondern die Untergrabung der Möglichkeiten (…)
Der Vorgang dieser metaphysisch verstandenen Verwüstung schließt ferner nicht aus, sondern im Gegenteil ein die Pflege und den Genuss überkommener Kultur.
Sehr leicht zu sehen aus der Perspektive eines Orgelbauers: akribische und minutiöse sich in wahnhaften Details verlierende Erhaltung historischer Instrumente, gepaart mit einem übersteigerten Bewahrungseifer und dagegen gesetzt gegenwärtige, technisch und klanglich totgeprügelte Instrumente, denen ein kalter Odem entspringt anstelle des warmen Atems seiner Gottessymbolik. Aber wo sollte auch die Wärme herkommen aus den Kreissägehallen dieser Musikinstrumentenindustrien?
Der Heroismus vor der Realität ist das endgültige Ja zu dem, was ist und zu dem, wie der Jasagende selbst ist – und nichts weiter.
"Der wirkliche Heroismus besteht darin, dass man nicht unter der Fahne der Aufopferung, Hingebung, Uneigennützigkeit kämpft, sondern gar nicht kämpft… " So bin ich, so will ich's – hol euch der Teufel!" Friedrich Nietzsche 1888 WM
Wir können heute ergänzen: Heroismus, das "Jasagen zum Unvermeidlichen" das sind meist die kleinen, scheinbar unbedeutenden Dinge die aus jedem Menschen einen Helden machen. Die Mutter die ihren behinderten Sohn pflegt, der Sohn, der solches tut mit seinem dementen Vater, der ihn einst verprügelte. Das Geradestehen des einfachen Menschen vor seiner Verfehlung, indem er die Verantwortung auf sich nimmt. Wie bewundernswürdig ist das Ausharren mancher Syrer mit ihren Kindern in ihrem verwundeten Land. Und welch ekelhafte Aufgeblasenheit müssen wir tagtäglich ansehen, von sogenannten Helden in Sport, Politik, Schauspielerei, die verwechselt werden mit echten Helden. Denn nur die, welche ihre eigene, individuelle Last tragen, ohne zu murren, sich ihrem Schicksal hingeben, ohne Trug, nur die haben verdient, dass man ihrem Beispiel folgt.