Hans-Peter Dürr „Es gibt keine Materie“

Es ist nicht das erste Mal, dass ich „Werner Heisenbergs Quantentheorie und Philosophie“ (Reclam 4,–) gelesen habe, aber nun in einem ganz neuen Zusammenhang. Und dieser frische Wind war verursacht worden durch den eingeflogenen Vogel Hans-Peter Dürr (1929-2014), Nobelpreisträger, Quantenphysiker, Schüler und Mitarbeiter Heisenbergs.
Man kann ihn überall auf dem Internet finden, bei YouTube (hier ist besonders ertragreich sein Interview mit Sternstunde Philosophie vom SRF1) oder bei Wiki und natürlich in vielfältigen Büchern oder Textteilen.
Das Interview von HP Dürr durch Dr. Peter Michel, festgehalten in dem Buch „Es gibt keine Materie“ auf 120 Seiten, kann man bequem in drei bis vier Stunden durchziehen. Es hat den Mangel, dass der Interviewer immer wieder den Physiker auf eine „esoterische“ Linie herüberziehen will. HP Dürr aber bleibt eisern bei seinem Programm.
In Hans Jonas „Prinzip Leben“ offenbarte sich mir der „Dualismus in den Naturwissenschaften“, der stark vereinfacht gesagt die Verbindungsglieder zwischen ausgedehnter Materie und Geist nicht finden konnte. Diese „kartesische Ontologie“, zunächst unterstützt von Leibnitz, Spinoza, vielleicht sogar Kant, fand durch die Evolutionstheorie des Charles Darwin (1809-1882) ein jähes Ende. Die Naturwissenschaft hat sich nach endlosen Diskussionen über das Thema für die „relativ tote“ Materie entschieden. Dinge wie Wut, Liebe, oder jener „Wille“, kann sie nicht interessieren, weil diese Dinge eben nicht messbar oder gar im Experiment fehlerfrei wiederholbar sind.
Mit der Evolutionstheorie aber wurde die Sonderstellung des Menschen aufgehoben, seine Entwicklung aus dem Tierreich war evident geworden. Mit Aufhebung dieser Sonderstellung wurde gleichzeitig die besondere Eigenschaft des Menschen, eine Seele, einen geistigen Grund und Sinnvorstellung zu haben, ad absurdum geführt. Und damit wurde die Konstruktion, die gesamte Natur sei zum Zwecke des Menschen eingerichtet, abgehakt.
Nun also kommt HP Dürr daher, erzählt im Plauderton: „Es gibt gar keine Materie. Wenn man diesen Tisch hier immer weiter zerkleinert, stehen wir am Ende dieses Vorgangs nicht vor einem festen Teil eines Atoms, wo ein Elektron herumfliegt, sondern vor einer Beziehung, vor einer Bewegung, vor einem Prozess. Eigentlich haben wir keine Worte, um diese Gebilde zu beschreiben.“ Es fehlen uns ja auch die Worte um zum Beispiel „Liebe“ zu beschreiben, oder ein Bild zu deuten. In dem Moment, wo wir zur Beschreibung ansetzen, zerstören wir es (die Liebe, oder die Schönheit des Bildes, das was uns das Bild sagen will. Und hier sei auch ein dezenter Wink auf unsere Musikwissenschaft oder Kunstwissenschaften angezeigt.
„Es gibt auch keine Zeit“, damit meint Dürr die überkommene Vorstellung von Zeit. Denn für ihn gibt es konkret nur die Vergangenheit, diese lässt sich deuten und begrenzt interpretieren; der Augenblick verfällt sofort in diese Vergangenheit und die Zukunft ist das immer Unvorhersagbare, das immer völlig Offene. Hier beginnt die Kreativität. Eine ähnliche Aussage, die bereits David Hume (1711-1776) äußerte und die bei Nietzsche als Argument gegen jede Form von Teleologie und bestimmte Kausalzusammenhänge Eingang fand.
Teleologie (telos= das Ziel) kann es nach HP Dürr nicht geben, weil es „das Vorne“ nicht gibt. (Ursache und Wirkung, wie bei Hawking, sollte vom Urknall bis zum Ende aller Tage ein durchkonstruiertes Band sein, wogegen keine Willenserhebung je etwas ändern könnte. An dieser simplen Konstruktion erkennt man, was für durchgeknallte Typen dieser Hawking und seine Jünger sein müssen).
HP Dürr widerspricht mit dieser seiner Aussage, die Zukunft würde immer vom Augenblick an neu beginnen, gegen die klassische These der Physik, der des Determinismus, dass jedes Ereignis durch eine Vorbedingung eindeutig festgelegt sei. Das ist erstaunlich, weil durch diese These wissenschaftliche Systeme bedeutungslos werden.
Hochinteressante Gedankenschnipsel eines „guten“ Menschen.
(gwm)

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