Blade Runner 2049 – Bilder aus der Zukunft

In die Zukunft greifen zu wollen anhand der Bilder, die uns heute umzingeln, das kann nur in einer Apokalypse enden. So geschehen in Blade Runner, dem ersten Science-Fiction-Film, der 1982 erschien. Noch drastischer, aber unlogischer, auch unförmiger, kommt der in diesem Jahr in die Kinos entlassene Blade Runner 2049 daher.
Dennoch ist es der Film wert, sich näher mit ihm zu befassen.
In beiden Filmen wird die Auseinandersetzung des Menschen mit sogenannten „Replikanten“, mit seiner Technik also, thematisiert. Diese von einer Spezialfirma angefertigten und dem Menschen nahezu identische Wesen fordern in beiden Filmen zu Konflikten heraus, die dann das jeweilige Thema dieser Filme sind.

Bio oder Maschine
Unklar bleibt ob diese Replikanten Erzeugnisse der Biotechnologie sind oder ob es Wesen sind die mit anderen Methoden gestaltet wurden. Im ersten Falle würde die rein technische Frage, wie biotechnisch erzeugte Wesen „programmiert“ werden können auf Widersprüche stoßen, im zweiten Fall bleibt unklar, wie eine Maschine mit organischem Leib, mit Blut, Haut und Haaren, faktisch gebaut werden und „leben“ sollte.
Diese Fabrikation wurden in den Filmen nicht thematisiert. Lediglich die Grenzen zwischen Mensch und Replikant wurden deutlich gezogen, weil Menschen tiefere Gefühle haben, der Replikant exakter rechnen und übermenschliche Kräfte mobilisieren kann. Aber auch die Grenzüberschreitungen wurden angedeutet.
In beiden Filmen wurden Replikanten mit Erinnerungen und Gefühlen programmiert, was dann ein weiteres, komplexes Fragenkarussell in Bewegung setzt, das nicht leicht zur Klärung kommt.

Geschichte des Abendlandes
Das Problem, das hier aufgeworfen wird, ist, dass die sozial gespaltene Gesellschaft des Westens hier mit Grundfragen der zwei-drei Klassengesellschaft konfrontiert wird. Die Sklaven, die seit mehreren tausend Jahren in menschlichen Gesellschaften gehalten wurden, tauchen in der pro-technischen, post-zivilisatorischen Gesellschaft in veränderten Formen wieder auf, und sei es als genetisch-organische Parallellschöpfungen. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass diese Sklavenhaltung auch unsere demokratischen Gesellschaften nicht verschont hat, also ein gegenwärtiges Problem darstellt.

Mythos
Lassen wir Verstand und Vernunft etwas ruhen und sehen wir beide Filme, wie anfangs gesagt, als Mythen oder Märchen. Geschichten also, die keiner technischen Klärung bedürfen und die im Detail Gespenster beschwören, die nicht die Zukunft für uns bereit hält, sondern, die wir in der Gegenwart unter Verschluss halten. Ich denke an das bei uns ausgeklammerte Rassenproblem, an die geputzten Städtchen in Württemberg und Bayern und deren Müllverschiffungen nach Nordafrika und viele andere Dinge, die es bei uns nie auf eine Schlagzeile bringen.
Kernthema des Films ist somit der Mensch und seine Technik, welche die Möglichkeit bereithält, den Menschen zu überwinden, wenn Maschinen revolutionieren oder einfach der Mensch sich selbst satt hat. Oder, was ein Argument von Günther Anders war, dass der Mensch den Drang verspürt, selbst Maschine zu werden.2
Wir befinden uns also in einer artifiziellen Auseinandersetzung zwischen Mensch und Technik und versuchen über eine phänomenologische Spekulation daran teilzunehmen.

Logos
Die Replikantin Rahel hat vor dreißig Jahren ein Baby entbunden, bei der die Frau starb. Typisch für Ami-Tragödien sind faktische Übernahmen aus Hotel-Bibeln wie Rahel, Rachel,(Mutterschaf, die Mutter der Stammväter Israels) und die dreißig Jahre Leben des Jesus Christus.
Diese Überreste der Rahel, werden vom Officer K (Ryan Gosling), der selbst ein Replikant zu sein scheint, in einer Ödnis gefunden. Wie sich später herausstellte, war Rahel die Freundin des letzten Blade Runners aus 1982, Rick Deckards (Harrison Ford), und somit kann man schließen, dass das gezeugte Kind von ihm abstammt. Ungeklärt bleibt bis zum Ende des Films, ob der Hauptdarstellers, jener Officer K. das gesuchte Kind darstellt.
Während der Produzent der Replikanten, Niander Wallace, dieses von einer Replikantin geborene Kind für Reproduktionszwecke sucht, möchte die Chefin des Officer K. das Kind eliminieren lassen, um Aufstände auszuschließen.

Erinnerung
Um diesen Streit und die Identitätsfindung des Officer dreht sich nun der ganze Film.
Wie bereits bei der griechischen Tragödie des Ödipus, wird also auch hier die Selbstfindung von Seiten des Helden betrieben, indem er ein paar Abendteuer zu bestehen hat. Er landet bei einer „Erinnerungsgestalterin“ und bei seinen eigenen Erinnerungen, die sehr unamerikanisch, nicht beim „Dad“ enden sondern im Waisenhaus. Die im Film gebotene Möglichkeit Erinnerungen zu implantieren bereitet uns das geringste Kopfzerbrechen, weil wir dies aus den medialen Manipulationsdrogen wie TV bestens kennen. Schwierigkeiten haben wir hingegen zu glauben, dass der white-trash Amerikaner in der Lage sein soll, mehr als fünf Minuten am Tag über sich selbst nachzudenken. Bei einer Bevölkerung, die über zwei Drittel ihres Lebens „on“ oder vor dem TV sich berieseln lässt, sollte das ein Ding der Unmöglichkeit sein.

Virtuality
Interessant war ohne Zweifel der Umstand, dass die Virtualität der Wirklichkeit im Film einen doppelten Schleier vor die Augen des Zusehers wirft: so ist der Film selbst natürlich reines Scheinen und nicht Sein. Im Darbieten von Virtualität wird die Wirkung verstärkt ohne natürlich „Wirklichkeit“ zu werden. Ein Schlenker zur virtuellen Joy, die nach Weiterentwicklung der Siri nun auch in Bildform zu haben ist und so sofort zur Sexualität befragt wird, zeigt, dass das gestörte Sexualleben der Amerikaner auch hier voll durchschlägt. Joy synchronisiert sich mit einer Prostituierten, welche den Leib zum Sexualakt geben muss. Das Durchleben dieser Virtualität, das sicher einen hochinteressanter Stoff abgegeben hätte, wird hier der Lächerlichkeit preisgegeben. Wir sehen aber, dass unser deutsches Wort „wirklich“ nicht mehr die Realität im Zeitalter des potenzierten Virtuellen überzeugend darstellen kann. Hinzu kommt, dass die Nichtwahrnehmbarkeit von Wirkmechanismen3, also technische Realität, die uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, gar nicht mehr von uns „realisiert“ wird und damit in den Hintergrund abtaucht. So war der erste Blade Runner Film neu deswegen, weil dort technische Möglichkeiten angedeutet wurden, die uns damals noch nie begegnet waren. Während nun all dieser Rausch in Virtualität und effektiver Technik nach über dreißig Jahren digitaler Durchdringung nichts völlig Neues mehr bieten konnte.
Die Phänomenologie Husserls bestreitet ohnehin, dass wir über die Technik eine Erweiterung der Lebenswelt erreichen.

Das Thema
Das Hauptthema des Films, die Geburt eines Lebewesens durch ein maschinenähnliches Subjekt zu hinterfragen, halte ich für äußerst fragwürdig, weil dies jeglichen Respekt vor allem was wir mit Humanismus andeuten wollen, mit Füssen tritt. Im gleichen Atemzug aber wird trotz der vollkommen verrotteten Welt, wie sie die Amerikaner im Film hinterlassen haben, die Maschinentechnik (der Spinner, mit dem K. über die Lande fliegt, oder Joi, die virtuell-holografische Gespielin des Blade-Runner, oder die fliegenden Überwachungskameras in herrlich japanischen Meditationsräumen) in ihrer tadellosen Funktionsfähigkeit präsentiert. Und zwar so, als ob ja doch ein großer Gewinn am Ende der Tage vorliegt.
Man liegt also beim Konzept des Filmes im Kampf, wollen wir Werbung für Atari (wie im ersten Film) zulassen oder wollen wir die Folgen unserer heutigen destruktiven Handlungsweisen deutlich machen, oder wollen wir alle Optionen spielerisch im Streit miteinander sich ausleben lassen. So ganz ist mir nicht klar geworden, was am Ende gesiegt hat. Unklar auch, haben wir eine Dekonstruktion unserer heutigen Verhaltensweise vorliegen oder findet nur eine artifizielle, ein ästhetisches Schauspiel statt, das nicht mehr will, als schönes Bildgut in die Welt und damit in die Augen jedes Zusehers zu streuen, womit man wieder der Industrie in die Hände spielt.

Das Ende
Am tödlichen Ende dieser (industriellen) Entwicklung gibt es keinen Zweifel mehr, aber mit der weiter entwickelten Technik besteht wenigstens noch Hoffnung in bequemer Unterwerfungshaltung überleben zu können, Genuss im Anblick geiler virtueller Weiber und herrlich geräuschlos daher rasender Elektrokisten zu haben. Ja, es gibt sie noch die KFZ-Industrie, Gott-sei-Dank, und Peugeot hat auch überlebt, noch besser.
Die Städte haben an grausiger Entstelltheit zugenommen, ein nicht mehr überbietbares trostloses Bild vom Ende der Welt kann dem Film sein dürftig gestaltetes „Happy End“ nicht mehr abnehmen. In dieser Welt überleben nur noch Psychopathen, die keinerlei Wert und Maß unserer Tage mehr kannten. Deswegen glaubt kein Mensch mehr dem hin-und wieder dazwischen geredeten moralinsaurem Gebrabbel. Die wenigen echten Handlungsstränge wirken wie auf ein riesiges Bildkunstwerk draufgesetztes Panoptikum in dem dümmliche Dialoge ihr Spiel treiben, während das Auge des Betrachters ständig nach neuen, aufreizenden Bildern sucht. Irgendwo entwickelt sich im Innersten die Perspektive eines im Drogenrausch befindlichen Zusehers, dem traumhafte Kulissen vor die Nase geschoben werden, denen er in zunehmender Luzidität misstraut während das Gerede der Schauspieler sich im Hintergrund verliert.

Religion
In einigen Zeitungen stand irgendwas von Religion, die in diesem Film durch die oben angedeuteten Figuren und Zahlen (Rachel, dreißig Jahre) unterlegt sei. Dazu ist zu sagen, dass alles Religion ist, was Gemeinschaft gründet, selbst der Fanclub der Chicago White Sox huldigt einer Religion.
Besonders in Amerika, wo sie jetzt wieder einen Hohepriester haben, der glaubt, zwar nur an sich selbst, und der die Wahrheit predigt auf Twitter, aber er steht als „religiöses“ Oberhaupt, das redet und gehört wird. Das „White House“ ist Tempel (antike Tempelfassade), der bis vor kurzem noch vom dunklen Dämon besetzt war. Meist ist es jedoch die gemäßigte Form von „Religion“, die etwas mit Geld und Voodoo-Zauber zu tun hat, die den von Aberglauben durchrüttelten Amerikaner als Orientierung dient.

Ja, es gibt auch Erscheinungen bei uns, wo eine Art von postkatholischen Glaubensgemeinschaften in süddeutschen Stammtischen weiter entwickelt wurde. Immer derjenige der Glaubensgenossen, der den höchsten Alkoholwert in denkwürdiger Runde vorweist, wird automatisch zum Hohenpriester erkoren und hat damit das Recht auf Rede. Der reduzierte intellektuelle Gehalt dieser „Feiern“ in fortgeschrittener Stunde sorgt so für ausgeglichenes geistiges Niveau. Statistisch hat man in Bayern diese Reden gut sortiert und ausgewertet und ein religiöses Dogma verkündet: „Wir brauchen die Maut.“ Das nur am Rande.

Die Religion jedoch die dieser Film als Generalbass-Thema verkündet ist ausschließlich „Technik um seiner selbst willen“. Die Auffassung „Religion gewordener Kapitalismus“ wie in der Zeit zitiert, trifft die Sache nicht, weil dann der Unterschied zu heute verwischt werden würde.

Auffallend ist, dass keine einzige Anmerkung zu diesem Film erkannt hat, dass der Unterschied zwischen Mensch und Replikant nicht nur in der Frage des Humanismus zu finden ist, sondern, dass der Mensch bisher in allen Religionen den Anspruch erhoben hat eine Seele zu haben. Damit war Sinnfindung im menschlichen Leben klar und deutlich beschrieben worden.
Dass wir dieses Selbstbewusstsein, eine Seele zu haben so ganz nebenbei aufgegeben haben, egal wie immer man diese Seele definieren will, das finde ich schon sehr erstaunlich. Und dieser Umstand der „Seelenvergessenheit“ ist das Bedrückendste, das mir dieser Film vor Augen geführt hat.
Und so komme ich zur abschließenden Filmbewertung: Ein reines Bildmonster dieser Film, schön anzuschaun, aber seelenlos.
Gruselig ist es auf dieser Welt zu sein, den Untergang zu sehen und unseren Astrophysikern über die Schulter zu blicken, wie diese eine neue Ära einläuten mit dem Aufschrei, ein 300 Millionen Jahre altes Spektakel gemessen zu haben, wie zwei Neutronensterne sich ineinander verkeilt haben. Ein zarter Wink hin zum Nobelpreiskomitee, ein weiterer Wink zur Presse, photogeshopte Bilder von diesem Vorgang zu zeigen. Endlich können wir etwas sehen, das so gar nicht, weder zeitlich noch räumlich, in unsere Welt passt… und das war wirklich?!

Ja alles ist Technik, alles ist beinahe Virtualität.

Trost spendet vielleicht dies: Wo die Gefahr wächst, wächst das Rettende auch.
Martin Heidegger „Die Technik und die Kehre“

(gwm) 28.10.2017

1 im Sinne von: „Nicht du, sondern dein Bild war es, das mich verstörte (…)“
Ikonomanie : Bildsucht
Wenn ich mir die Welt von ihren Trilliarden Bildern, den Fotos, Filmen, Fernsehphantomen und Plakaten entleert vorstelle, nur das reine Nichts übrig bleibt. Das Verhältnis zum Bild hat sich in den vergangenen zehn Jahren gewaltig verändert: Whatsapp, oder die Diashow-Einstellung 2-3 sec./Bild. Das Bild der Kinder in der Brosche oder Geldbörse. Der mittelalter Mensch vor dem Bild des Kreuzes, tagelang knieend davor verbrachte, weil er der Gottheit gegenüber stand, etc…, heute vor dem Marienbild in einer schottischen kath. Kirche stehen und der aus dem Tempel geflohenen Gottheit in die materialisierten Augen zu schauen (…) entsetzlich.

2 in Die Antiquiertheit des Menschen1 von Günther Anders, hier die prometheische Scham: das von Anders erkannte Minderwertigkeitsgefühl des Menschen vor seinen Maschinen. „ Die Dinge, die er als exemplarisch, als ihm überlegen und als Vertreter einer höheren Seins-Klasse anerkannte, spielten für ihn wirklich die gleiche Rolle, die Autoritätspersonen oder anerkannte „höhere“ Milieus für seine Ahnen gespielt hatten.“ Der Mensch schämt sich, geworden, statt gemacht zu sein, der Tatsache also, im Unterschied zu den tadellosen und bis ins Letzte durchkalkulierten Produkten, sein Dasein dem blinden und unkalkulierten, dem höchst altertümlichen Prozess der Zeugung und (niedrigen) Geburt zu verdanken.
In der prometheischen Scham zieht der Mensch das Gemachte dem Macher vor, er akkrodiert dem Gemachten den höheren Seinsrang und nennt Beispiele für die Selbstverdinglichung:
Ohne make-up unter die Leute zu gehen, kommt für girls nicht in Frage. Es folgt eine Desertion ins Lager der Geräte. Das make-up ist bereits die Grundstufe, Finger und Nägel, das Gesicht, die tätowierte Haut, die Haare, in Dinge, in Kunstgewerbegegenstände zu verwandeln, die wiederum von anderen optisch konsumiert werden können. Der so hingerichtete Mensch will seiner Replikation nahe sein. Nicht der unbekleidete, der unbearbeitete Leib ist nackt, mit dem man sich schämen muss. Der natürliche Leib ist etwas was überwunden werden muss. Der Mensch als Werkstück neben Maschinen, Mensch-Sein=faulty, nicht nach Maß gearbeitet. Kurz: die Subjekte von Freiheit und Unfreiheit sind ausgetauscht. Frei sind die Dinge: unfrei ist der Mensch.
 
Der Initiations-Ritus des Roboter-Zeitalters, das Mensch-Sein hinter sich bringen.
(In Fernseh-shows computergleiches Rechnen und auswendig gelerntes Zeug aufsagen) keine Leib-Problematik vorweisen (Gesundheitspolitik i.d. USA), Schmerz auf Knopfdruck ausschalten, Schauspieler-Sein einer vorgespielten, unnatürlichen Welt, guter Konsument sein, der in der Ladenstraße das Glück der Menschheit zu hoffen findet. Geräte und Maschinen bieten isolierte Fertigkeiten, an denen der wirkliche Mensch nur noch als Anhängsel hängt.

Als Grundlagen über Abhandlungen in Sachen Technikphilosophie empfehle ich
a) Unbestimmtheitssignaturen der Technik, Gerhard Gamm, Andreas Hetzel u.a. (kann kostenfrei als PDF heruntergeladen werden beim transcript Verlag, hier der entsprechende Link, öffnen Sie Open Access und laden den PDF-Download, http://www.transcript-verlag.de/978-3-89942-351-8/unbestimmtheitssignaturen-der-technik
b) Nachdenken über Technik – Die Klassiker der Technikphilosophie und neuere Entwicklungen, Christoph Hubig, Alois Huning u.a, das die gesamte Literatur der Technikphilosophie von 1877 bis 2013 zeigt.
c) Heidegger und das Denken der Technik, Andreas Luckner
d) Die Technik und die Kehre, Martin Heidegger
e) Der Ursprung des Kunstwerkes, Martin Heidegger

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