In Zeiten der Pappel, wenn Regen erwartet wird

Der Staub, die Hitze, der Dunst, Trockenheit. Mit einer müden Zunge das Geplapper der Unnötigen anhören müssen und auf Regen warten.
Die Pappeln strecken die fingrigen Äste aus nach den Stimmen der Boten, der Götter. Man hört etwas, ein Geräusch vielleicht, ein seltsamer Ton und geht mit Pappelholzschuhen über die gefrorenen Seen, deren Erinnerung uns peinlich zu werden scheint, eine Erinnerung an den längst vergangene Sommer.
Der Regen der kommen wird, er wird wieder abertausende von flachen, hohlen Fützen schaffen, Frauengestalten der Extraordinären (die aus den ü’s eben o’s gemacht haben). Das ist brachiale Sprachgestaltung der underclass, so wie sie aus „Trampel“ „Trump“ optimiert haben.
Wir warteten auf diesen Regen mit zerkauten Fingernägeln. Wir waren hungrig und müde. Wir wollten aufgehen in dieser Welt und dann kam er, der Regen, blass und dünn zuerst. Dann lautes Lachen, zynische und breite Wasserstrahlen. Sackweise wurden Wassermassen heruntergeschleudert. Die Pfützenwelt, die Flachheit brach sich Bahn. Alle Götterbotenstimmen versandeten. Die im Traum zugerufene Warnung: „vermeidet flache Wasser!“ kam nie in die oberen Stockwerke des Bewusstseins an. Dafür das Rauschen der Wassermassen und damit das endlose Urinieren ins Bett allgemeiner Wohlgefühltheit mit Vertrautheiten selbst ungewöhnlichster Fremdheit.
Der antidemon der flachen Pfützen ist der Teufel. Er kommt aus tiefster Teufe (altdeutsch: Tiefe). Mich sollte es nicht wundern, wenn der Begriff der Taufe aus gleichnamigem Wortstamm herausgewachsen ist.
Wer einmal ein ihm von Anfang an völlig unzugängliches Kunstbild entschlüsselt hat, ohne Hilfe von außen, der weiß, dass Tiefe nur im eigenen Selbst geschöpft werden kann. Nie aber in einer Zwiesprache mit Dir da draußen. Die Wahrheit hingegen braucht das Du, die Teufe benötigt den weitesten Abstand vom Du. Das mag ein Grund sein, warum die Priesterkaste im Mittelalter den Teufel verteufelte.
Die Kirche braucht die Gemeinschaft. Der Künstler, der Denker, der Dichter, sie müssen tief in sich hineinhören und dabei hören sie oft ihren gemeinsten Bruder böse, verbrecherische Dinge sagen. Am Ende glauben sie gar ihr „Gewissen“ habe mitgeredet. Doch das Wissen ist nicht tief. Wissen ist flach. (Eine Ausnahme sei vielleicht die „Fröhliche Wissenschaften eines F.N.“, das könnte ein in der Teufe gemengter Stoff sein). Tiefe und Wissen miteinander zu verwechseln, haben sich die Schulen und Universitäten zur Aufgabe gemacht, um ihre Existenz nicht aufs Spiel zu setzen. Tatsächlich ist Tiefe nichts, das gelehrt oder gelernt werden kann. Aber Tatsache ist auch, dass kaum ein Mensch bekannt ist, der unwissend Tiefe erlangt hat.
Es gab blinde Seher, Weise wie Diogenes, Gebildete wie Faust, die wir allesamt als tiefe Gestalten verifizieren können. Vielleicht sind das nur Symbole, die uns unsere Grenzen und gleichzeitig unsere Möglichkeiten aufzeigen. Sicher ist, dass nach dem Regen, in Zuständen der reinen und flachen Pfützen, die Rede belanglos und dünn daher kommt. Es gibt nur sehr wenige Redner, die eine Geschichte erzählen können, auf die meine Fantasie begierig ist und in eigener Initiative loslegt, eigene, seltsame aber auch tiefe Geschichten zu spinnen. So wie man eben ein Kunstwerk ins Eigene übersetzt und damit selbst schafft. Die eigene Definition solch eines Kunstwerkes ist wichtiger als die des Künstlers oder schlimmer noch irgendeines Kunstästheten, der seinen oftmals völlig verbrauchten Ästhetizismus zum Konsum anbietet.
Ein ganz besonders gutes Beispiel der Gegenwart stellt für mich Botho Strauß dar mit seinem Buch „Onoritti“.
Verdammt, was lieb ich dieses Buch. Und was gibt es mir an Feuer und stiller Beschaulichkeit. Ums Verrecken will ich keine Erläuterung und „Klärung“ von irgendeinem Pfützchen hören, wie das oder jenes zu lesen sei. Nein, das Gebirge, die Landschaften, die Pappeln und den endlichen Regen, ich will ihn selbst und alleine schaffen. Ich will auf Wanderschaft gehen, ich liebe alles Fremde, wenn es in mir gegart ist und hochdampft zu einem mir noch völlig unbekanntem Gotte, mag er schwarz oder Chinese sein.
Die Pfützen sollen ihre Pfützbookstories haben, ihren Alltag, ihre Belanglosigkeit, ihre festgezurrte Langeweile in Form bringen.
Aber lasst mir meine Pappeln vor dem Regen.
gewalcker@t-online.de

aus meinem Bunstiftkalender 2017 „Schlange & Adler“ Skizzenbuch gwm 2017
kalender03_walcker

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