Ent-Schuld-igung, ein großes Versehen

Manchmal erhalte ich eine Nachricht, die mir andeutet, dass der Begriff „Entschuldigung“ , der unseren Blog mit betitelt nicht ganz richtig gedeutet wird. Denn es ist ja klar, dass damit ein Heraustreten aus der „Schuld“ gemeint ist. Indem ich mich „entschuldige“ möchte ich meine „Schuld“ beseitigen, vergessen machen.
Doch was bedeutet überhaupt „Schuld“?
Lassen wir das ganze komplexe Vokabular der Juristen einmal beiseite und untersuchen dieses Wort „schuldig“ einfach spekulativ.
Kein Mensch kann etwas dafür, dass er geboren wird noch unter welchen Umständen er auf diese Welt kommt. Das heißt die grundsätzlichen Ursachen, die bewirken, dass er irgendwann einmal „schuldig“ wird, liegen nicht in seinem Einflussbereich. Ob er oder sie mit dunkler Haut, mit welchem Körperbau auch immer oder mit welchen charakterlichen Dispositionen dieser Mensch den Lebensweg antritt, er hat keinerlei Einfluss darauf. Dazu kommen noch die sozialen, länderspezifischen Einflüsse und die der Eltern, das Nachbarhaus, die ersten Freunde, die Zeit, in die man hineingeboren wird.
Diese Einflüsse oder Einwirkungen auf den Frischgeborenen sind so riesengroß, dass sogar die mit völliger Unschuld erworbenen Prädispositionen an Körper und Charakter beinahe gleichgültig werden. Wir können nur konstatieren: die Ausgangssituation ist reine Unschuld.
Nun, wodurch erwirbt sich der Mensch dann die Schuld? Wenn wir die Natur betrachten, werden wir irgendwann feststellen, dass dort der Begriff Schuld nicht angewendet werden kann, weil zur Schuld die Einsicht gehört schuldig geworden zu sein. Und das geht nur über die Vernunft, die dem Menschen eigen ist.
Der „kategorische Imperativ“ des Immanuel Kant ist diese praktische Vernunft, die dem Menschen das Abwägen im Großen und Kleinen erlaubt, sein Gewissen, sein Vermögen Harmonie anzustreben, sein in dieser völligen Unschuld mitgegebener Maßstab „richtig zu handeln“. Mit diesem Kompass, so dachte man in Zeiten der Aufklärung, sei es doch klar und einfach durch die Dunkelheit des Daseins die glückseligen Inseln anzuschippern.
Doch auch jener Immanuel Kant, der den Deutschen das Denken und vor allem das Fürchten vor seinen grausamen Wortschöpfungen gelehrt hat, sagte vom Menschen, dass er „radikal böse sei“!
Woher kommt nun diese Schuld, radikal, also von der Wurzel her, böse zu sein, wenn das total unschuldige Kind das Land betritt mit Taschenlampe und Kompass „Vernunft“ im Gepäck?
Sind es die Triebe, die wie eine Horde wildgewordener Hunde in jedem Menschen ihr Unwesen treiben und die nur mit eiserner Disziplin gebändigt werden? Oder sind es die „Emotionen“ die wiederum Triebe auslösen oder von Trieben ausgelöst werden? Oder ist es gar so, dass wir Menschen, jeder für sich ganz individuell in einem Meer aus Chaos vor sich hintreibt, in der Einbildung unser Verstand würde alles dieses Chaos im Griff haben. Ein Korken der auf einem wildgewordenem Ozean, von den Sturmfluten hin-und hergerissen, meint, er habe diesen Ozean voll im Griff.
Das Ich (der Korken) und das Es (das Meer) das uns dann nach dem 19 Jahrhundert, welches zum Ende hin die Vorstellung von „eiserner Disziplin“ bis auf die Spitze trieb und was nach heutiger Vorstellung im deutschsprachigen Raum zum Faschismus geführt hat, wurde von der Freud’schen Psychoanalyse im Wesentlichen festgemacht im Haupttäter „Es=Sexualtrieb“. Wobei wir wieder am Anfang wären, denn schon die Religionen haben diesen Gauner als den Hauptverbrecher wirksam in allen Menschen ausgemacht.
Natürlich übersieht eine solche einfach zurecht gezurrte Triebbehandlung völlig, dass der Mensch der ohne Triebe wäre, wie ein Fahrzeug ohne Motor, ohne Antrieb eben.
Die Vernunft ist wie die gesamte Natur selbst ein Korrektursystem, das auf Ausgleich bedacht ist. Vom Verstand her sind wir Menschen meist nicht in der Lage dies ad hoc zu erkennen. Jedoch weiß jeder Drogensüchtige, der sich den Himmel ins Zimmer holt, dass die Natur diesen Zustand egalisiert und jeder der seine Triebe ungezügelt springen lässt, weiß ebenso, dass er dafür mit Gewissensbissen (dem Zurechtrücken der Vernunft) und schlaflosen Nächten bezahlen muss.
Meine Feststellung ist, dass die eigene Schuld, wie immer dieses Konstrukt aussehen mag, denn mehr als eine Konstruktion ist es nicht, kann von mir und vor mir selbst nicht entschuldigt werden – denn das wäre nicht nur ein Zirkelschluss sondern es würde mich hinausheben in einen Raum über allen anderen. Aber ich kann die Schuld anderer relativieren, indem ich sage: Du bist nicht schuld!“ und diesem Anderen damit Beistand gewähren (ohne das ganze Klimborium der Katholiken, die auf die Psychologie der Beichte hinweisen).
Ich glaube sogar, dass solche Handlungsweise dem Begriff des „Nächsten“, den ein völlig missverstandener Prediger vor 2016 Jahren in den Mund nahm, am nächsten kommt.
Das also verstehe ich unter „Ent-Schuld-igung“.

gewalcker@t-online.de 16.10.16 in Schottland

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