Das Finstere Tal

oder lus primae noctis – das Recht der ersten Nacht (das dem Feudalherren zustand. Vor der Heirat soll dem adligen Herren die erste Nacht mit der Braut zugestanden sein. Ein historisches Detail, das sehr umstritten ist. Man vermutet heutzutage eher, dass diese „Gepflogenheit“ feudalen oder mittelalterlichen Rechts von der Aufklärung deswegen thematisiert wurde, weil es die erotischen Fantasien anfeuerte, die man gut fürs „Revolutionieren“ nutzbar machen konnte.

Bei unserer Rückreise aus Rom entschloss ich mich über „Das Finstere Tal“ zurück ins Saarland zu reisen. Nochmal einen tiefen Blick ins Dunkle zu werfen, bevor der Alltag an Rechner und Orgel wieder ins Ein-und Zweitönige ausklingt.
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Das Finstere Tal“, diese faschistoide Vorgeburt aus dem 19.Jahrhundert, auch ein österreichisches Filmprodukt wie „Das weiße Band“, das uns zu zeigen vermag, wie im Süden historische Aufarbeitung von statten gehen kann, hat mich zutiefst begeistert.

Zunächst einmal nur wegen der herrlich unbeteiligten Landschaft, die während das Filmdrama seinen Lauf nahm, eisiges Hintergrundschweigen und damit Wissen um das Leiden der Menschen zur Schau trug. Böse und zudringlich werden die Ängste und Verrätselungen einer vorindustriellen Gesellschaft ins Lärchenholz und in die Zirbelkiefern an den Hängen eines Südtiroler Tals eingearbeitet. Dazu wird eine Sound-Geräusch-Kulisse fabriziert, die wie ein Drogenteppich an untergründigsten Lauten Erschrecken auslöst. Das Knacken eines Astes, das Schnauben eines Stiefels im Schnee, das leise Klicken der Winchester das hoch hinauf auf die Dreitausender Entsetzen telegrafiert, als ob den Lawinen Signale gesendet werden: „Ötzi – der Berg, der Berg, er ruft!“

Zu Beginn des Films hören wir die Stimme eines unschuldigen Mädchens in niederösterreichischem Dialekt, der die Unschuld dieser Natur unterstreicht. Und alles was diese Natur im Film anrichten wird, es wird gegen das Böse und für die Reinheit und Rache sein. Fast klingt es uns im Ohr, als sei das tatsächlich so der normale Weg. „Oh wie schön wäre die Natur, wenn sie gut wäre?!“

Die Oberfläche des Filmstoffes ist so herrlich klar und rein, sie verschmilzt mit dieser idealisierten Landschaft hinter Meran zu einem grandiosen grün-grauen Wald-Kosmos, das den Schnee wie reinen Koks ins Hirn schmiert und das Tal, das finstere, zu leuchten anfängt, während die Story ein katastrophales Gebilde darstellt, das wir einfach nicht unwidersprochen hinnehmen können.
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Hätten Andreas Prochaska(Regie) und Martin Ambrosch(Buch) wenigstens das Ende offen gelassen, oder hinaus in die Landschaft katapultiert, mit der Aufforderung:“ jetzt arbeitet dran“ oder gesagt: „macht was draus!“, wir wären Ihnen dankbar gewesen. So aber, mit dem Hintergedanken, einen „Oscar“ kassieren zu können, haben sie den Emotionen etwas Zucker und Streicheleinheiten gereicht, aber an der Wahrheit scharf vorbei geschossen.

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Dazu kurz die Geschichte: Wir haben Ende 19 Jahrhundert, also die Zeit nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg. In ein abgeschiedenes Tal (das Schnalstal hinter Meran) kommt ein Reiter mit zwei Pferden kurz vor Wintereinbruch. Es ist der Held, ein US-Amerikaner, der mit neuester US-Technik (Winchester Repetiergewehr 73) den im Tal geistig eingemummelten Europäern so richtig einheizen wird. Er findet dort ein faschistoides Unterdrückungssystem vor. Der „Brenner“ und seine Söhne terrorisieren die ansässigen Familien mit Gewalt und Sadismus. Parallelen machen sich auf zur Colonia Dignidat und anderen Formen der Unterjochung, wie wir sie in Perfektion in den 1920-40er Jahren in europäischen Ländern als Staatsformungen wieder entdecken konnten. Der Held, der „Greider“ ein sympathischer, weil wortkarger Mensch, ist auch Sohn des „Brenner“. Aus dieser Vergewaltigungstat ging Greider hervor. Dieses Identitätsproblem, das einer tiefgängigen griechischen Tragödie würdig wäre, das Greider mit sich herumträgt, wurde leider nicht verarbeitet. Er rächt sich, indem er alle seine Brüder und zum Schluss den Vater mit Waffengewalt und Tränen in den Augen erschlägt. Nun herrscht wieder Freiheit und reine Luft – so meint man.
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Diese Konstruktion, dass ein US-Bürger ins Schnalstal kommt, um dort mit Waffengewalt Recht und Ordnung wieder herzustellen, sie stört mich. Und zwar aus dem Grunde, weil dieser wesentliche Erzählstrang etwas sehr Unglaubwürdiges hat und weil, wie mir scheint, das nur aus „Oscargründen“ in die Geschichte eingebaut wurde. US-Amerikaner als unbestrittene Helden im 19.Jahrhundert in Südtirol – das sollte doch einen Oscar hergeben. Waffengewalt, die heute nicht oft genug und anders als verherrlichend thematisiert gehört, sie darf einfach nicht in europäischen Filmen glorifiziert werden. Den Priester zu erschießen, weil der bei Mutter und Predigt die Befruchtung der Maria durch „Höheres“ als durch den Ehegatten thematisiert hatte, das erscheint doch abstrus.
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Das Schnalstal ist mir ans Herz gewachsen mit den heutigen Menschen, die alles andere als 19.Jahrhundert sind. Auch die wunderbare Filmkulisse, der Marchegg Hof, der unmittelbar von weitem erkennen lässt, dass hier wichtige Szenen abgedreht wurden, machte einen wunderbaren Eindruck auf uns. Dort einen Kaffee zu trinken, die Leut zu befragen, die dann auch lossprudeln und erzählen, wie aufregend die Filmerei war, all das waren zwei schöne Tage in und um Meran, bei einer Rückfahrt aus Rom nach Saarbrücken.
Und dann hinauf in die Schweizer Alpen, ins Engadin.
Nein, nach Sils Maria, zu Zarathustra, haben wir’s nicht mehr geschafft, leider.
Aber das kommt noch.
Rom wartet schon wieder. Im Winter.
Und dann ins Schnalstal, ich müsste weinen.
gwm

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