ein Jahr Costa Rica: viel Lärm und Nichts…

EIN JAHR COSTA RICA
Vorwort: Im Mittelalter haben die Dorfgemeinschaften den psychisch Auffälligen eine Kopfbedeckung verpasst, mit Glöckchen dran, um diese vor sich selbst und die Gemeinschaft vor Überraschungen zu schützen. Überall, wo der Narr auftauchte, oder sich versteckte, hörte man die Glöckchen vielsagend bimmeln. Im heutigen Costa Rica, besonders hier in den bevölkerungsreichen Städten, setzen sich ganze Heerscharen von Jugendlichen diese Narrenkappen auf, indem sie ständig Lärm von sich geben. Sei es, dass der Eine oder Andere durch frisierte Auspuffe der Mopeds sich in Erinnerung bringen möchte, sei es, dass Geschrei und Lautsprecher auf den Straßen von Narreteien kund tun. Das Ruhig- und Stilleseinwollen alter Atztekenaristokratien sucht man heute vergebens.
Hier die Story:
Gegen Samstagmittag 14 Uhr verziehen sich zwei Orgelbauer ins paradiesische Paraiso, in die Orocay Lodge. Eine himmlische Ruhe begleitet den Ausblick ins Orosi-Tal. Dort unten gibt es die älteste Kirche des Landes, deren Anblick, wie erwartet, durch einen neuen Anbau völlig verschandelt wurde.
Ein Rabengeier dreht langsam seine Runden über dem Tal, das wie in Rauch gehüllt schwer atmet. Im Hintergrund tauchen blaue Berge auf, darunter der Vulkan Turrialba, heute ohne Rauchfahne, aber stoisch unbeugsam.
Hier und dort hört man Vogelschreie, Hundegebell, Stille kehrt ein. Kolibris schwirren heran, nektarieren, scheuen die Menschen nicht.
Erschöpfte legen sich auf die Betten in ihren Zimmern. Fenster und Türen werden geöffnet, um den kühlen Wind vom Pazifik einzulassen.
Das Wolkenspiel am Himmel perlt wie alter Regen aus Europa in die müden Augen der Halbtoten. Nur weit weg von Cartago, weg von Catedral, weg von den unbeugsamen, künstlich aufgetürmten Hindernissen, die jegliche feine Orientierung an alter Kunst und Weisheit missen lässt. Weg vom Lärm der Costa Ricaner, die zwei Existenzformen kennen.
a)Die Frau sagt: „ich esse, also bin ich“ b)der Tiko: „ich lärme, also bin ich“.
Man könnte diese Grundformen des costaricanischen Existenzialismus noch um ein paar Spielarten ergänzen, aber lassen wir das, werden wir nicht zu aufdringlich.
Ohne die schnell durchschaute Eitelkeit, die anderen Motiven hinterherläuft als unsere europäische, wäre es hier nicht auszuhalten.
Zurück im Paraiso Hotel, indem sich die Ausgebrannten vor ihrer eigenen Asche Erholung zufächeln. Es scheint alles noch im grünen Bereich.
Dann plötzlich beginnt ein Höllenkrach, der sich gewaschen hat, der das Ruhehotel in ein Tollhaus zu verwandeln droht: Mopedgeknatter paart sich mit dem Krach eines Quadro4.
Nach kurzem Zögern erhebt sich einer der Müden zur Explosion, und die steigert sich noch weit über den Lärm der beiden Motoren hinaus. Es knallt kräftig, Wortwechsel, Geschrei, Morddrohung, abgewandter Totschlag, Wiedervertragen, und endlich kehrt erneut Ruhe ein.
Die Europäer längst über die Grenzen ihres burnout hinausgewachsen nehmen noch Steak mit Gemüse ein, um in einen ersten Traum einzulenken.
Was für Tage waren das, die letzten zwei Monate, auf dem Rücken eines tollwütigen Mantelbrüllaffen. Endlich hatte man es geschafft, eine mechanische Kegelladenorgel, der in Europa nicht fünf Minuten Hoffnung vergönnt gewesen wäre, wieder spielbar zu machen.
Als nun massiver als je zuvor, die Weiterarbeit an diesem Instrument durch die Kirchenleute behindert wurde. So kamen die Orgelbauer letzten Montag morgens wie gewohnt um 7Uhr in ihre Kathedrale, als dort plötzlich ein Presslufthammer die Akustik des Kirchengebäudes in tausend Stücke riss. Dies zum Zeitpunkt des Feintunings, der geplanten Intonation.
Soviel zur Sensibilität der „costaricanischen Freunde der Orgel in der Kathedrale in Cartago“.
Wie die Orgelbauer darauf reagierten, wollen wir hier nicht in allen Details erläutern, nur hervorheben, dass sie die Entschuldigungen der Verantwortlichen nicht allzu wörtlich nahmen. Denn am nächsten Tag, war trotz ihrer Protesten, der gleiche Zustand wie zuvor. Der Blaumilchkanal unter der Kathedrale forderte seine Tribute.
Der Presslufthammer hatte eine solche Kraft, dass die Orgelbauer fürchteten, die Prospektpfeifen werden aus den Halterungen fallen. Das Positive an diesem Krach aber war, sie konnten endlich wahrnehmen, dass der bisher erfahrene Lärm sogar noch um Längen überboten werden konnte.
Mitten in der Nacht wachte einer der Orgelbauer auf, nicht mehr sicher, ob er all diese Dinge auf dem Rücken eines Mantelbrüllaffen geträumt hatte, denn die unheimliche Stille des Orosi-Tales schwang sich hinauf in den Vorgarten des Hotels und nebelte seinen Kopf so blau ein, dass er an diesen Erfahrungen zu zweifeln begann. Ganz von Ferne, nicht mal 4-5km entfernt, hörte er ein zartes Mopedgeknatter, das sich mehrere Minuten durch sein blau gefärbtes Bewusstsein zu spinnen anschickte, als seine Zweifel langsam der Gewissheit wichen.
Der Affe war. Die uralten Indianergeschichten, der Mayas, der Azteken und der Inkas waren beinharte Realitäten, die sich nicht dem Verstande oder der Vernunft erschlossen, aber den Emotionen und den Träumen.
Nur wer viel Zeit zum Schlafen hat, kommt den Mythen der Mittelamerikaner näher. Alles andere, ihre Orientierung nach Europa oder Nordamerika, das ist belangloses Zeug. Der Ritt auf Krokodil und Mantelbrüllaffen, die Dämonen in den Kirchen und Straßen der Hauptstädte, sie sind die wahren Götter dieser Landstriche. Wer jemals in das Auge eines Vulkans oder eines Tikos tief geblickt hat, der hat sie gesehen, diese Träume und Dämonen, dieses Unheil, das entsteht, wenn Europa Mannen in die verwunschenen Berge jener Regionen schickt.
Wie gelangweilt muss ein heuriger Maya auf einen Europäer blicken, der etwas von Orgelmusik fabuliert, während dort ein Dayang-Moped hell auflacht und mit bohrendem Dröhn in die Hirne jener Ignoranten eindringt.

gewalcker@t-online.de

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