Gedanken beim sonntäglichen Frühstücksfernsehen

„Nach dem Heiligen entschwindet auch dessen Sprößling, das Ästhetische; die aufrührerischen Titanen werden in diesem Jahrhundert mit der grausamen Züchtigung bestraft, nämlich senilen Schwachsinn.“ Elèmire Zolla

über das Projekt „Orgel“

Mallarmé soll Ende des 19.JH geäußert haben, dass sein Dichterwort nicht mehr mit dem Gegenstand seiner Poesie direkt verbunden sei. Bis dahin galt die Einheit von Wort und Bild.
Das scheint ein Grundproblem der Missverständnisse zwischen Dichtung und Kunst der Romantik gegen die Auffassung der Moderne des 20.Jahrhunderts zu sein.
Die im Mittelalter gemalte Jungfrau, sie existierte als Maria unter der Gestalt von Farbe und Leinwand, sie war kein Abbild sondern leibhaftig anwesend. Ihr Dasein war nur abhängig von der Kraft des Betrachters.
Die in der Frühromantik geschaffene Orgel war “die Stimme Gottes”. Das einzig künstlerische was von Gott geoffenbart werden durfte, denn es galt das Bilderverbot. Damit war die Orgel sakral, nur von auserwählten Schöpferhandwerkern mit begnadeten Händen darstellbar.
Nur diese berufenen Handwerker hatten die Macht, den Schleier vor dem Haufen Materie jener heiligen Maschine, zart öffnend zu bewegen, um die Gottheit zu offenbaren.
Im Zuge der industriellen Revolutionen, der Aufklärung, der Verhirnung europäischer Bevölkerungen, wurde das Wort, der Begriff radikal vom Geschehen getrennt. So leiden wir heute unter dem Hypnosezustand der täglichen Journaille.
Wir können uns nur mit größter Anstrengung vergegenwärtigen, wie das Erscheinen des “Heiligen” die Kunst belichtete. Ich verweise auf Dichter wie Rudolf Borchardt, George Steiner, Botho Strauß, die im 20.JH wirkten..
Wer dem Kunstwerk, jetzt spreche ich von der Orgel, wie sie war, nicht über die Plastikbarockfratzen der Ars Organi, die puppenhaft uns angrinsen.Wir reden auch nicht über die in Konkurrenz zu HD-Programmen befindlichen Objekten, denen man mit fragenden Laborblicken begegnet.
Wer mit den Excellisten in der Hand, der gezückten Digitalkamera, dem Audio-Digitallabor im Gepäck, vor das sakrale Instrument tritt, der wird nicht viel hören von Gottes Stimme. Er wird nur physikalische Schwingungen wahrnehmen und einen Sack voll Daten nach Hause tragen. Wie ein kümmerlicher Zwerg vor aufbereitetem Feuerholz hört er einen todtraurigen Chor jammern, über den Abglanz jener verloren gegangenen Orgel.
Kann sein, dass ab und zu ein Schmetterling, ein schwebender Orgelregisterklang vorbeifliegt, in diesem Jahrhundert der Interpreten, der zart andeutet was solch reale Anwesenheit des Heiligen in uralten Zeiten für Begeisterungsräusche unter den Menschen auslöste.
Das Erahnen veranlasst uns Geist und Ohr in alte Zeiten zu versenken, doch dabei die Kultur der heutigen Zeit zu vernachlässigen.
Ein Problem tritt hierbei auf. Es ist die Frage nach der Verantwortung gegenüber dem Kunstwerk, das mit aktivem Verstehen erreicht wird, nicht aber mit Konsum.
Musik wird verstanden nur über “eigenhändiges Musizieren”; ein Buch ordentlich lesen lernt man durch eigene Schreibinitiative; Bildkunst erfährt man durch Malen. Orgelbau wird man am Ende nur verstehen, indem man mitten im Instrument tätig wird.
Die letzten Worte sind mein grundsätzliches Argument gegen ein von der Praxis getrenntes Orgelsachverständigenwesen. Es fehlt die Verantwortung gegenüber dem Kunstwerk “Orgel”, weil es nur passiv Entwicklungen zur Kenntnis nehmen kann. Die ästhetische Idee, wie anfangs geschildert, wird ignoriert.
Weitergedacht kommen wir an einen Punkt der Konservatismus auf Moderne aufeinanderprallen lässt.
Das Projekt “Orgel” hatte nur mit den Kleinorgeln der 1960er Jahre einen radikalen, eigenen letzten Stil entwickelt, der auf einem Denkfehler beruhte. Die Serie, gestaltet unter Zeitvorgaben, sparsamster Anwendung, geriet zu einer verdichteten Klangsynthese, wie wir es später nicht mehr vorfanden.
Das Ende der modernen Orgel, das mit der Bares-Orgel in Sinzig beschlossen wurde, wirkt auf die heutige Orgelwelt nur noch in begrenzten Impulsen.
Der Widerspruch zwischen Moderne und Konservatismus lässt sich auflösen, und synthetisiert Kunst mit Wissenschaft:
Die Moderne sagt, das Eine differenziert in tausendfältigen Variationen. Die Konservativen sagen, die gesamten Teile gehen zurück in das Eine. Die Physik spricht vom Urknall, in dessen Folge die Welt in Teilen vereinzelt und nach der Vollendung erneut in eins zusammenfällt.
Klar ist, dass alles von vorne beginnt. Bei Nietzsche-Zarathustra, am Bild des “Schild des Achill”, wird diese Wiederholung identisch. Es wiederholt sich exakt gleich.
Haben wir damit die Weltformel? Ist mit dieser Symbolik des Menschen Leben und Sterben gelöst?
Nur angedacht, wie gesagt, beim Frühstücksfernsehen, dem anschwellendem weißen Rauschen…
gewalcker@t-online.de

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