Michael Hampe – das vollkommene Leben – vier Meditationen über das Glück

Ein wunderschönes und gutes Buch.
Mein Problem war, dass ich mich mit der ersten Meditation, die man kaum als solche auffassen kann, niemals werde anfreunden können. Sie ist überschrieben mit dem Titel „Wissenschaftlich-technischer Fortschritt als Abschaffung des Unglücks“. Also die Vermeidung des Unglücks ist der Weg zum Glück und dazu dient Technik und Wissenschaft. Die über 60seitige Begründung, warum man keine Metaphysik in heutiger Zeit mehr braucht, warum ein Tumor im Darm keine tiefere Bedeutung habe und nur mit Technik und Wissenschaft angegangen werden kann, oder darf, warum das Auslassen von Intensität dem Ziele hilft, Unglück zu vermeiden und am Schluss, wie man denn seine Begierden zu handhaben habe, all das wurde von mir zähneknirschend hinunter geschluckt, mit Fragezeichen bekrittelt und führte beinahe zum Abbruch meiner Leselust, bis dann das Glück der Seelenruhe im 3.Kapitel aufgefahren wurde, und das mich auch in einer recht schwierigen Lage hier in Rom in einen Zustand der Besonnenheit feinführen sollte.
Dies also war dann die zweite Meditation, in der man aufhört, die Menschheit verändern zu wollen. Da ist man in einem Zustand den man zuerst einmal als „gewonnenen“ Zustand betrachtet. Nicht wie im ersten Fall, wo man beginnt, das Terrain zu sondieren für Umgrabearbeiten.
Die grundsätzliche Einstellung hier ist, die Seelenruhe zu erlangen, was bereits aufkeimendes oder gar gewonnenes Glück bezeichnet. Im Zustand der Seelenruhe, der bereits in der Antike und wahrscheinlich in Asien seit 5000 Jahren bekannte Ausgeglichenheit andeutete, sollte man frei von den billigen Affekten werden, mit denen unsere Marktwirtschaft nur so lumpenbeutelt.
Ich fühlte mich zu dieser Meditation sehr stark hingezogen, er ist wunderbar dargestellt, und ich bin mir sicher, hier noch sehr oft reinzuschauen und ihn wieder und wieder neu zu lesen.
Die dritte Meditation bestreitet mit dem Titel „Das Glück ist unmöglich, aber die Wahrheit ist schön“ grundsätzlich, dass man in diesem Leben überhaupt Glück haben kann.
Ein Kernsatz hier ist, dass der Glaube an den technischen Fortschritt in der Kultur als Lösung aller Probleme unserer natürlichen Existenz durch die Phantasie einer Heilsgeschichte angetrieben wird, was ich direkt unterschreiben würde. Weiter geht der Weg hier, indem man andeutet, dass die Entwicklung der Menschheit und dann dem elementaren Rückschlag durch die Nazis, sogar ein historischer Beweis für Unmöglichkeit einer Heilsfindung durch den Menschen im Raum steht. Es wird nicht ausdrücklich gesagt.
Ein gut durchdachtes Argument scheint mir das hier von Hobbes ausgeführte zu sein: Das glückselige Schauen ist ein Leben ohne Bewegung, ein Leben, das keine Ressourcen verbraucht und deshalb kein Verlangen nach Ressourcen mehr kennt. Doch ein Leben ohne diese Bewegung ist ein Widerspruch in sich selbst.
Indem wir kultiviert werden bereits als Kinder, werden wir auf Ressourcenverbrauch hingeführt. Kaspar Hauser, der dieses Heranführen nicht kannte, empfand den Weg in die Welt nicht als Verbesserung seines Schicksals. Auch diese Einführung wird weiter mit den Belegen des 19.JH gefüttert, wo eine immer stärker werdende Disziplinierung in Europa zwangsläufig zum Krieg führt. Was heißt, die immer stärker werdende „ziellose“ Kultivierung bringt nicht die Erlösung (das Glück), weil sie sinnlos ist.
Weitere Argumente liefern Nietzsche und Freud. Wobei dessen Abhandlung „Unbehagen der Kultur“ zwei entscheidende Argumente liefert, die uns stark von Glücksvorstellungen der Menschen ableiten könnten. Es ist einmal der vorherrschende Aggressions- und Todestrieb des Menschen, der durch die Kultur abgeschwächt und entwaffnet wird. Auf heutige Verhältnisse umgedeutet, kann das bedeuten, die heutigen Menschen sind deswegen Pazifisten, weil sie viel zu verweichlicht geworden sind. Die ganze komplexe Widersprüchlichkeit unserer Affektenlebens wird hier ebenfalls gut zur Sprache gebracht. Und dabei Freud als Philosoph doch ganz passabel erscheinen zu lassen.
Ein Satz, den ich exakt aus dem Buch zitiere, weil er so geradlinig und klar ist, zeigt, um was es sich hier bei Freud außerdem dreht:
Eine Religion, in der imaginiert wird, dass durch ein personales Gegenüber die Wünsche des Einzelnen wie von sorgenden Eltern wahrgenommen und erfüllt werden, kompensiert also eigentlich die Gleichgültigkeit von Natur und Kultur gegenüber dem Einzelnen auf eine Weise, die Freud „regressiv“ nennt: durch die Einblidung einer Rückkehrmöglichkeit in die kindliche Geborgenheit unter den aufmerksamen Augen der Eltern.
Es geht weiter in dieser Meditation mit schlagkräftigen Argumenten. Die Widersprüche des Menschen aushalten und am Ende dieses Kapitels noch an das Glück und an Glücksucher glauben, fällt schwer. Eher fällt es leicht, sich tiefer über Freud und andere Wahrheitssucher zu beugen, vielleicht Nietzsche, der das Glück ohnehin nur bei Kühen auf Wiesen zu finden gedachte.
Das es doch spät geworden ist, möchte ich rasch die vierte Meditation behandeln “ Intensität und Sicherheit als Bedingungen von Glückserfahrung“. Was versteht man eigentlich unter Glück?
Ein einziger Satz, den ich hier unterstrichen habe, war, dass in naturwissenschaftlichen Gesellschaften neue Erkenntnisse einem höheren Preis gezollt werden, als die Produktion von Gewissheiten. Man könnte auch sagen, dass es Gesellschaften gab, wo Ehre wichtiger war als langes Leben. Das heißt die Glücksvorstellungen variieren nicht nur ununterbrochen, sondern, sie sind in vielen Gruppen ganz unterschiedlicher Natur.
Wir haben es, um langsam diese Meditation über vier verschiedene Meditationen über das Glück abzuschliessen, mit Hampes Buch mit einer sehr feinfühligen und tiefergehenden Behandlung eines Stoffes zu tun, das viel weiter gehen will, als schlichte Weisheiten dort zu offenbaren.
Es gibt nur eine einzige Weisheit in dem Buch, die wie ein Rechnergebnis am Ende steht, wo die unterschiedlichen Ausgangspunkte, die natürlich auf unterschiedlichen Erfahrungen beruhen, unterschiedlichen Metalitäten etc., wo Hampe sagt, sie lassen sich nicht gegeneinander abgleichen, man kann sie nur hinnehmen und anmerken, dass hier Differenzen bestehen.. Und später: Das Aushalten von Differenzen, oder die Anerkennung von Differenz erst ermöglicht Glück! und ist eine Form der Friedfertigkeit (genial!!)
Die Unfähigkeit, Differenzen zu akzeptieren ist der erste Schritt ins Unglück. (Hat man je eine einfachere und klarere Kernaussage am Ende eines solch großartigen Buches gesehen? Ich nicht.)
Das hat mich einen Tag lang beschäftigt und mir eine große, fast befreiende Erkenntnis vermacht, die ich kaum in Worten auszutragen in der Lage bin.
Dieses Nachwort von Michael Hampe in genanntem Buch, manch einer hat ihm abgeraten das zu schreiben, ist ein ganz gewaltiges und großes Stück Philosophie, wie man es sich wünscht.

gewalcker@t-online.de

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