Peter Bieri, Das Handwerk der Freiheit

Über die Entdeckung des eigenen Willens
Vor einem Jahr saß ich bei einem Abendessen am Tisch des deutschen Botschafters in San José, Costa Rica, wobei mir im Laufe des Gesprächs der Satz entfuhr:“ .. die Mathematik ist ohnehin eine schlechte Basis auf denen alle Naturwissenschaft basiert, da es keine zwei identischen Dinge auf der Welt gibt, die man addieren könnte“. Was allgemeines Stirnrunzeln und heftigen Widerspruch entfachte. So denkt eben einer, der dem analytischen Denken höchste Skepsis entgegenbringt und der eigentlich im romantischen Schwärmen und der Metaphysik seine wahre Heimat erblickt.
Wer aber Peter Bieri begegnet ist, der einmal Professor für Analytische Philosophie in Berlin war und der daneben mehrere Romane geschrieben hat, die anstehen zu Klassikern zu werden, der wird zumindest in einem Punkte Korrekturen in seinem freizügigen Denken vornehmen, das ebenso zur Dogmatik werden kann, wie es weiland die Analytische Philosophie geworden war. Denn Bieri widerlegt rasch die Vorstellung, dass es kein Wissen geben kann.
Das findet sich als ersten Satz im Prolog von Bieri: „Unsere Idee der Welt ist die Idee einer verständlichen Welt. Es ist die Idee einer Welt , in der wir verstehen können, warum etwas geschieht. Zwar gibt es darin vieles, was wir nicht verstehen, und vermutlich wird das immer so bleiben. Trotzdem, denken wir, ist die Welt eine Gesamtheit von Phänomenen, in die wir Licht bringen können, indem wir uns erklären, warum die Phänomene so sind, wie sie sind. Selbst wenn dieser Gedanke eine Täuschung wäre: Anders können wir über die Welt nicht denken“.
Und dieser Punkt wäre dort zu finden, wo man beginnt zu fragen, „was ist denn überhaupt die mich umgebende Welt?“
Ist das die Physik, die in Teilbereichen feststellt, dass es nicht mal zwei identische Atome geben kann, oder ist es eine Metaphysik, die verneint, dass es überhaupt eine von den Naturwissenschaften erkennbare Realität gäbe?
Peter Bieri setzt stillschweigend voraus, dass seine Leser einen „gesunden Menschenverstand“ besitzen, der aber begrifflichen Täuschungen unterworfen werden kann, was in den meisten Fällen auf „Nichtwissen“ beruht. Also führt er, vielleicht, ohne es direkt zu wollen, in eine systematische Methodik des Nachdenkens ein, die ganz umfassend das Problem des Willens aufdeckt.
Die große Leistung Peter Bieris ist, diesen Denkakt bis zur letzten Seite seines 450 Seiten starken Buches durchzuführen, ohne dass man es bewußt als eine Führung im analytischen Denken überhaupt bemerkt!, und dass man gefordert wird mitzudenken, zu prüfen, zu widersprechen, um am Ende der einzelnen Kapitel mit Lösungen konfrontiert zu werden, die man manchmal wie Offenbarungen empfindet. In jedem Falle aber hat man am „Denken“ profitiert und auch bei gegenteiliger Meinung, etwas dazu gelernt.
Eine weitere Leistung ist, dieses „Denken lernen“ zu tun, ohne jemals in Bieris Buch mit der Fremdwortbelastung philosophischer Traktate in Berührung zu kommen. Bieri hat ausdrücklich dies als Programm gesetzt, in diesem Buch kommen keine Fremdworte vor, was der Sache des Denkens keinen Abbruch tut.
Die Vielzahl der Beispiel die Bieri heranführt und mit denen er die unterschiedlichsten Typen der Willensfreiheit- oder Unfreiheit aufführt, werden variiert und durchleuchtet.
Der Getriebene, der Mitläufer, der Unbeherrschte – sind die frei oder unbedingt frei oder gar unfreie Empfänger eines totalen Willens, dem sie ausgeliefert sind?
Jede Freiheit kann nur als bedingte Freiheit in Erscheinung treten. Und das ist dann auch die echte, garantierte Freiheit, die uns niemand mehr nehmen kann, auch nicht die heutigen Naturwissenschaften, die einem Determinismus das Wort reden, das sagt, dass die Vergangenheit eine einzige, eindeutig bestimmte Zukunft festlegt, weil die Naturgesetze dies bestimmen.
Die Feststellung von Hirnwissenschaftlern, dass der „freie Wille“ im Hirn nicht zu finden sei, weil man beobachtet habe, dass das Hirn schon vorher Click gemacht hat, ist nach Bieri eine Verwechslung von Kategorien, die man ohne Messgerät deswegen leicht an sich selbst überprüfen kann, indem man einfach feststellt: so habe ich es gewollt! – eine innere Erfahrung, die durch weiteres Wissen nicht mehr auf-oder abgewertet werden kann.
Es gibt ein sehr gutes Interview mit Peter Bieri über „die Selbstbestimmung“, die im WDR5 am 02.04.2010 erschien und als Podcast geladen werden kann. Wo ein großartiger Peter Bieri über 50 Minuten aus einer ungeheur interessanten Fülle an Lebensweisheit erzählerisch das Wesentliche heutiger Philosophie erläutert. In „Sternstunde Philosophie“ von Schweizer Fernsehen gibt es eine Sendung (auch als Podcast downloadbar) mit Peter Bieri über den „freien Willen“, die ebenfalls gut gelungen ist.
Gerhard Walcker-Mayer

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