was unterscheidet die Romantik mit dem Nebelzustand, der heute herrscht?

Wir können uns auf verschiedene Art und Weise der Romantik nähern: über Safranski, über Wagner, also über Musik schlechthin, über Oscar Wilde, über Novalis, über Winckelmann, über die ästhetische Erziehung von Schiller, über Hölderlin, oder…
Aber nie können wir uns der Romantik nähern, indem wir ein solch stumpfes Schwert, wie das des Begriffes der „Neoromantik“ benutzen. Ein verrauchtes Hirnprodukt das im Nebel der heutigen Beliebigkeiten absolut nichts mehr besagt. Es wäre als wollte man das ganze Artifizielle, die ganze romantische Ästhetik gleichsetzen mit der Scheinwelt eines Heroinabhängigen.
Wenn Nietzsche das „Kranke“, Dekadente, das Kraftlose seiner Zeit angriff, ankämpfte, die Allesamt an wagnerscher Musik hing, wie heute jedermann am Fernseher hängt oder anderen Plattheiten seinen geistigen Bürstenschnitt nieder hält, selbst ein „Süchtiger“ und „Kranker“ war, der Erlösung suchte, dann erst begreift man langsam was die Romantiker, in vorderster Reihe wohl Novalis und Hölderlin, angerichtet hatten.
Weil die Schönheit, die man als eigenen Wert entdeckt hatte, nur mit dem Gefühl erkennen konnte und nicht mit der Ratio, war nun am Ende des 19.JH mit dem herbeigesehnten Untergang aller Religion ein plötzliches, akutes geistig-seelisches Vakuum entstanden, dass Nietzsche als Nihilismus entlarvte.
Safranski hat über die Romantik ein Buch geschrieben, bei dem man gerne einschläft, weil es in Richtung Gebrüder Grimms Erzählungen deutet, und eine wichtige These so völlig daneben liegt. Nämlich, dass die 68er Bewegung aus der Romantik ihre Einflüsse bezog.
Hierzu nur ein gutes Gegenargument von Meindert Evers „Das Problem der Dekadenz. Thomas Mann & Nietzsche“: Der Sozialismus ist Moralismus und dieser verträgt sich nicht mit einer ästhetischen Schau. Die eine Haltung will die Welt verbessern, die andere die Welt in einer ästhetischen Optik gutheißen. Romantik ist so gesehen „Reaktion von rechts“ und hat nichts mit den „Linken“ zu schaffen.
Natürlich können wir auch heutige Zustände mit den Begriffen der Romantik formulieren, aber damit tun wir der Romantik keinen Gefallen. Wenn ein Bierbauch, wie jeden Tag, 6 Stunden sein einfaches Gemüt von der Manipulationsdroge Nr.1, dem Televison bescheinen lässt, davon zu reden, dass sich hier ebenfalls etwas „Artifizielles “ tut, dann beutzen wir die falschen Begriffe für unvergleichliche Zeiten und Menschen. Das Dämmern eines Einfaltspinsels ist nicht vergleichbar mit der ästhetischen Konstruktion eines Marcel Proust.
Eine Zeit, wie die heutige, die ihren absoluten Schwerpunkt in der Technik gefunden hat, und damit alles totschlägt, was sich ihr kritisch nähert (im Sinne von den Zustand ändern wollen), die ist mit anderen Begriffen zu verankern. Und in gar keinem Fall ist es hier angebracht noch von „Kultur“ zu reden, sondern ausschliesslich von Zivilisation. (Wie das Spengler in „Untergang des Abendlandes“ formuliert hat).
Wir haben jetzt also nach rund einhundert Jahren Weltkriege und Technik als Nachfolgejahrhundert nach der Romantik (wenn man diese Romantik, die wir im Orgelbau z.B. bis 1916, mit dem Tode von Max Reger, datieren) einen Zeitpunkt erreicht, der an einem Übermaß von Vertilgung alter Zeiten lebt. Weil eben nichts nennenswertes Neues mehr geschrieben, komponiert, gemalt wird, und der daher schnell bei der Hand ist, sich „Titel“ wie Romantik herbeizuschaffen. Jedermann will sich solche Orden umhängen, um eindeutig identifiziert zu werden und so in der allgemeinen Beliebigkeit etwas Solides dazustellen.
Die Romantik wollte auch ausreissen, entweder zu den alten Griechen oder ins Mittelalter, aber eben, wie gesagt, artifiziell.
Da hatten sie noch jenen Nietzsche, der vor dem Historismus gewarnt hat: Vergessen ist genauso wichtig wie Erinnern.
Nach all diesem Wortschwall ein gesungenes Wort, wieder von Nietzsche:
„Sie hätte singen sollen diese neue Seele – und nicht reden“

gerhard@walcker.com

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